Der Kinderpapst
noch eine Menge zu tun. In jedem Raum, in jeder
Kammer, wurde gesägt und gehobelt und gefeilt und gedengelt und gehämmert,
sodass man kaum sein eigenes Wort verstand. Chiara hatte beschlossen, das ganze
Gebäude von Grund auf neu zu richten, um noch mehr Menschen, die in Not geraten
waren, Arbeit geben zu können. Arbeit, hatte Abt Bartolomeo gesagt, Arbeit
helfe immer ⦠Sie war jetzt gerade dreiundzwanzig Jahre alt, und trotzdem schon
eine alte Frau, die das Leben hinter sich hatte. Die Werkstatt und die
Armenspeisungen würden von nun an ihre Tage bestimmen.
Würde sie die Kraft haben, ein solches Leben auszuhalten? Zwanzig,
dreiÃig Jahre, bis der Tod sie erlöste?
»Giaccomo«, rief sie einem halbwüchsigen Jungen zu, der gerade mit
ein paar Brettern über der Schulter die Treppe hinaufging. »Hier, der Hammer.
Antonio hat danach gerufen.«
»Welcher Hammer?«, fragte der Junge.
Chiara blickte auf ihre Hand. »Die Säge, meine ich natürlich. Nun
mach schon. Antonio wartet.«
»Ich mach ja schon.« Mit irritiertem Gesicht nahm er die Säge. »Aber
ich heiÃe nicht Giaccomo, sondern Alberto.«
»Ja sicher, Alberto.«
Was war nur mit ihr los? Seit sie nach Rom zurückgekehrt war, ging
das schon so. Von morgens bis abends war sie auf den Beinen, arbeitete, bis ihr
das Blut unter den Nägeln hervor spritzte. Doch diesmal versagte Abt
Bartolomeos Mittel. Sie war unfähig, sich auf irgendeine Tätigkeit zu
konzentrieren, sie vergaà Namen und Gesichter, ging hinaus auf den Hof, wenn
sie in den Keller wollte, lieà das Essen anbrennen und versalzte die Suppe. Das
Schlimmste aber war der Grund, weshalb sie in dieser
Verfassung war. Ihr Herz sträubte sich zu tun, was Verstand und Gewissen ihr
befahlen. Doch nichts in der Welt würde sie dazu bringen, dies irgendjemandem
einzugestehen. Zu groà war ihre Scham, dass sie zu solchen Gefühlen fähig war.
»Ich finde, so schlecht schmeckt es doch gar nicht«, sagte Anna, als
sie am Abend bei Tisch saÃen.
»Was?«, fragte Chiara zerstreut.
»Der Brei, den du gekocht hast«, sagte Anna.
Erst jetzt merkte Chiara, dass sie noch keinen einzigen Löffel
angerührt hatte.
»Manche Männer«, grinste Anna, »mögen Brei ja nur mit diesem
Geschmack. Antonio zum Beispiel. Er behauptet, wenn eine Frau das Essen nicht
anbrennen lässt, hat sie aufgehört, zu lieben. Oder ist dir etwa wieder übel?«
»Ãbel? Wie kommst du darauf?«
»Weil dir gestern auch schon übel war. Und vorgestern hast du dich
sogar übergeben. WeiÃt du das nicht mehr?«
»Ist das ein Wunder?«, fragte Chiara gereizt. »Als Antonio sagte, er
hätte Giulias neuen Laden gesehen, den sie auf der Piazza in Agone aufgemacht
hat, mit eigenem Haus und riesigen Speichern, habe ich mich eben aufgeregt. So
ein scheinheiliges Weib! Unser ganzes Geld hat sie sich unter den Nagel
gerissen. Wir könnten es so gut gebrauchen.«
Anna legte eine Hand auf ihren Arm und schaute sie an.
»Ist es wirklich das?«
»Natürlich, was soll es denn sonst sein?«
»Versuch nicht, mir was vorzuspielen. Dafür kenne ich dich viel zu
lange.« Anna machte eine Pause. Dann fügte sie hinzu: »Willst du nicht lieber
darüber reden?«
»Worüber reden? Ãber Giulia? Willst du mir jetzt wieder vorhalten,
dass du mich von Anfang an vor ihr gewarnt hast?«
Anna schüttelte den Kopf. »Es ist nicht gut für die Galle, wenn man
die Sachen so in sich hinein frisst. Dann wird die Galle ganz schwarz und
giftig. AuÃerdem kriegt man davon Falten. Eine Tante von mir, die sah aus wie
ein verschrumpelter Apfel, nur weil sie immer alles in sich hinein gefressen
hat.«
»Ich fresse nichts in mich hinein! Ich habe keinen Appetit!«
»Du weiÃt genau, was ich meine.«
»Das weià ich nicht!«
»Und ob du das weiÃt!«
»Gar nichts weià ich!«, erwiderte Chiara so laut, dass sich zwei
Frauen, die mit ihren Essschüsseln auf dem Schoss auf der Türschwelle zur Gasse
hockten, um die laue Abendluft zu genieÃen, nach ihr umdrehten.
Anna drückte ihren Arm. »Erinnerst du dich noch an den Ring, den du
mir damals geschenkt hast? Als die einzige Kuh meiner Eltern eingegangen war?
Damit wir den Arzt für Francesca bezahlen und neues Vieh anschaffen konnten?
Den Ring hatte Teofilo dir geschenkt.«
Chiara schaute
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