Der Kinderpapst
Die nötige Ohrfeige verpasse ich dir
selbst! Ganz ohne Bischof! Und zwar jetzt gleich!«
Er holte aus, um seine Drohung wahr zu machen, aber Teofilos Mutter
trat dazwischen.
»Nicht, Herr!« Sie nahm ihren Sohn an die Hand und setzte sich mit
ihm auf die Kaminbank. »Warum widersprichst du deinem Vater?«, fragte sie. »Er
verlangt doch nur, dass du Gottes Willen tust.«
Wie immer, wenn seine Mutter seine Hand hielt, hatte Teofilo das
Gefühl, dass alles wieder gut würde und ihm nichts passieren konnte. »Ich will
ja Gottes Willen tun«, sagte er leise. »Aber, aber â¦Â«
»Aber was?«
»Er soll meinen Willen tun!«, knurrte sein
Vater. »Himmelherrgottsakrament! Womit habe ich einen solchen Sohn verdient?
Jeder andere an seiner Stelle würde platzen vor Stolz!«
Mit seinem steifen Bein humpelte Alberico durch die Halle. Ermilina
sprang auf und eilte ihm nach, um ihm einen Becher Wein einzuschenken. Teofilo
spürte erneut die Tränen aufsteigen, und er musste seine ganze Willenskraft
anstrengen, um sie zu unterdrücken.
Wieder rückte sein Vater ihm auf den Leib. »Warum zum Teufel tust du
nicht, was man dir sagt? Sogar der Kaiser hat deiner Ernennung zugestimmt!« Er
beugte sich zu ihm herab und umfasste sein Kinn. »Los! Schau mich an, wenn du
mir Antwort gibst! Und fang ja nicht an zu heulen, sonst â¦Â«
Als Teofilo den Kopf hob, war das Gesicht seines Vaters so nah, dass
er seinen Weinatem roch, und aus den Höhlen der groÃen, dunkelroten Nase sah er
ein paar struppige graue Haare ragen, an denen ein Tropfen getrockneter Schleim
klebte. Im selben Moment war es um seine Beherrschung geschehen. Sein Kinn
bebte, die Zähne schlugen aufeinander, und obwohl er sich mit aller Macht
dagegen sträubte, schossen die Tränen ihm aus den Augen. Widerstand war
zwecklos, er spürte nur noch Ohnmacht und Schmach. Genauso wie damals, als er
vor Chiaras Augen in Tränen ausgebrochen war, über dem Abgrund, gefesselt an
einen Baum und mit Ugolinos Messer am Bauch.
»Was bist du nur für eine Memme! Zu heulen wie ein Mädchen!«
Voller Verachtung wandte sein Vater sich ab. Während er nach dem
Becher griff, den seine Frau ihm reichte, sah Teofilo auf einmal einen
Schmetterling, der sich in das düstere Gemäuer verirrt hatte. Wie auf einer
sonnigen Lichtung flatterte er durch die Halle.
»Es ⦠es ist doch nur, weil ein Papst nicht heiraten kann«,
stammelte er. »Und ich will heiraten, Chiara, meine
Cousine. Sie ⦠sie ist doch meine Braut!«
Er zog den Nasenrotz hoch und wischte sich die Tränen ab. Das
Gesicht seines Vaters verdüsterte sich noch mehr. Gleich würde er explodieren!
Dann aber, Teofilo duckte sich schon, um den Schlägen auszuweichen, hellte sich
seine Miene auf, so plötzlich und unvermittelt wie der Himmel im April, wenn
der Wind die Wolken auseinandertreibt.
»Jetzt begreife ich!« Lachend hob sein Vater den Becher und prostete
ihm zu. »Du glaubst wohl, du müsstest auf Weiber verzichten, wenn sie dir die
Tiara aufsetzen? Keine Angst, mein Junge, das brauchst du nicht. Du sollst
keine dicken Eier kriegen, auch nicht als Papst. Das verspreche ich dir! Und
wenn ich dir selber Weiber anschleppen muss â¦Â«
»Wie könnt Ihr nur so reden?«, herrschte seine Frau ihn an. »Es geht
um das heiligste Amt auf Erden! Und um die Bestimmung Eures Sohnes!«
»Ich ⦠ich will doch nur tun, was Ihr immer wolltet«, stammelte
Teofilo, der überhaupt nichts mehr verstand. »Ritter werden und Chiara
heiraten. Warum wollt Ihr mir das jetzt verbieten?«
Während sein Vater immer noch lachend den Becher austrank, strich
seine Mutter ihm über das Haar. »Niemand will dir etwas verbieten«, sagte sie.
»Du darfst frei wählen. Aber bevor du eine falsche Entscheidung triffst und
dich womöglich gegen die Vorsehung versündigst, solltest du deinen Taufpaten um
Rat bitten.«
13
»Viele sind berufen, doch nur wenige sind auserwählt«, sagte
Giovanni Graziano.
»Was heiÃt das â auserwählt?«, wollte Teofilo wissen.
»Erinnerst du dich an das Gleichnis vom Sämann?«, fragte sein
Taufpate zurück. »Ohne Zahl sind die Körner, die der Sämann auswirft. Manche
Körner verkümmern auf steinigem Grund, andere werden im Lehm zertreten. Aber
nur das eine Korn, das auf fruchtbaren Boden fällt, wird
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