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Der Kinderpapst

Der Kinderpapst

Titel: Der Kinderpapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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seinem Bewusstsein die Ahnung ihrer Bedeutung
wie ein machtvolles Gebirge, das sich im Schein der Morgensonne aus einem
Nebelfeld erhebt.
    Â»Vater unser, der du bist im Himmel«, betete sein Taufpate. »Geheiligt
werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch
auf Erden …«
    Nie zuvor hatte Teofilo den Sinn des Gebets so tief empfunden wie in
diesem Augenblick. Wie im Himmel, also auch auf Erden … Hatte seine Mutter
Recht? Hatte Gott ihn wirklich und wahrhaftig auserwählt?
    Laut fragte er: »Wenn ich Papst bin, kann ich dann zaubern?«
    14
    Chiara wusste, dass sie nicht durfte, was sie gerade tat – ihr
Vater hatte es ihr streng verboten. Aber als Francesca, die Nichte ihrer Zofe,
ihr vorgeschlagen hatte, zusammen mit ihr zum See zu gehen und sie zu der
Stelle zu führen, wo die Bauern und Tagelöhner aus dem Dorf in manchen Nächten
Essen ins Wasser warfen, um Geister anzulocken, die angeblich Wünsche
erfüllten, hatte sie der Versuchung nicht widerstehen können.
    War es möglich, dass es solche Geister wirklich gab?
    Statt Bettdecken für die Aussteuer mit ihren Initialen zu besticken,
wie Anna ihr nach dem Mittagessen aufgetragen hatte, hatte sie sich also
heimlich davongeschlichen, um sich mit Francesca zu treffen, die mit einem
Kanten Brot bereits am Dorfausgang auf sie wartete.
    Â»Weißt du schon, was du dir wünschst, wenn ein Wassergeist
auftaucht?«, fragte Francesca, während sie beide einen zugewachsenen
Trampelpfad zum See hinuntergingen.
    Chiara hatte die Antwort längst parat, aber sie konnte sie ihrer
Freundin unmöglich verraten, ohne rot dabei zu werden. Zum Glück erreichten sie
schon das Ufer, und Francesca gab ihr ein Stück Brot.
    Â»Muss man etwas dazu sagen?«
    Â»Nein, du brauchst es einfach nur ins Wasser zu werfen. Dann kommen
sie von ganz allein.«
    Â»Hast du schon einen gesehen?«
    Â»Ich nicht, aber mein ältester Bruder.«
    Chiara warf ihr Stück Brot in den See und schloss die Augen. Dabei
dachte sie ganz fest an ihren größten Wunsch: dass sie eines Morgens aufwachte,
und der Tag ihrer Hochzeit war da, ihrer Hochzeit mit Teofilo … Doch als sie
die Augen aufschlug, rührte sich nichts. Blank wie ein Spiegel lag der See vor
ihnen.
    Â»Vielleicht hätten wir besser Kuchen nehmen sollen.«
    Â»Warum?«, fragte Francesca. »Schmeckt Kuchen so viel besser als
Brot?«
    Â»Natürlich! Weißt du das denn nicht?«
    Â»Woher soll ich das wissen? Ich habe noch nie welchen gegessen.« Ein
bisschen sah sie aus, als würde sie sich schämen. Aber nur ganz kurz. »Pssst!«,
machte sie plötzlich. »Da ist was!«
    Chiara schaute in die Richtung, in die Francesca zeigte. Tatsächlich,
vor ihr kräuselte sich das Wasser, ganz nah bei der Brotrinde, die sie in den
See geworfen hatte. Ein dunkel gefleckter Schatten glitt unter der Oberfläche
darauf zu, dann schnappte ein Maul auf, und die Rinde war verschwunden.
    Â»Hast du dir was gewünscht?«, fragte Francesca aufgeregt.
    Â»Weshalb?«, erwiderte Chiara. »Das war doch nur ein Fisch!«
    Â»Von wegen! Das war ein Wassergeist! Ich hab ihn genau gesehen! – So
ein Mist, jetzt müssen wir es noch mal probieren.« Sie teilte den letzten Rest
von ihrem Brot, gab ein Stück Chiara und warf das andere ins Wasser.
    Â»Hab ich mir’s doch gedacht! Da steckt ihr also!«
    Chiara fuhr herum. Vor ihr stand Anna, ganz rot im Gesicht. Nur die
Warze an ihrem Kinn war weiß.
    Â»Komm sofort mit! Dein Vater sucht dich überall!« Sie packte Chiara
an der Hand und zog sie vom Ufer fort. »Und du«, rief sie über die Schulter
ihrer Nichte zu, »mach, dass du nach Hause kommst! Wir sprechen uns noch!«
    Während Chiara ihrer Zofe den Trampelpfad hinauf folgte, überkam sie
ein mulmiges Gefühl. Würde ihr Vater sie bestrafen? Ihr Tag war streng
geregelt. Gleich nach der Morgenandacht hatte sie Unterricht in Lesen und
Schreiben, der bis zum Mittagessen dauerte, und am Nachmittag musste sie bis
zur Vesper an ihrer Aussteuer arbeiten, bevor es Abendbrot gab und sie mit
ihrem Vater Trictrac spielte. Sie hoffte, dass sie mit einer Ermahnung
davonkommen würde, ihr Vater hatte sie noch nie geschlagen – Stubenarrest war
die schlimmste Strafe, die sie je bekommen hatte. Francesca dagegen musste sich
bestimmt auf eine Tracht Prügel gefasst machen.

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