Der Kinderpapst
der
Schmerz seines Leibes, und er hatte sich in den Wald geschleppt, um seine BuÃe
zu vollenden.
Er hatte die Einsiedelei so vorgefunden, wie er sie nach Ablauf
seiner vierzigtägigen BuÃe selber zurückgelassen hatte: das steinerne Haus, der
fest gestampfte Lehmboden, das Madonnenbild mit dem Jesuskind, dessen Antlitz
angeblich einstmals seine Züge angenommen hatte. Hier, an diesem Ort, an dem er
als Kind im Glauben unterwiesen worden war und wo er nach seinem Rücktritt vom
Thron die prunkvollen Gewänder seines Amtes abgelegt hatte, um sie gegen das
Gewand eines einfachen BüÃers zu tauschen, wollte er die Tage und Monate und
Jahre, die er noch in seinem Leib gefangen war, auf den Tod warten, in Einkehr
und BuÃe, bis Gott ihn endlich zu sich rief.
Doch würde Gottes Gnade groà genug sein, um ihn zu sich zu rufen?
Oder hatte die Vorsehung ihn schon längst der Verdammnis anheim gegeben?
Teofilo trat den Spaten in das Erdreich, um das vorgezeichnete
Rechteck abzustechen. Wenn es einen Ort auf Erden gab, an dem sich das Wunder
der Erlösung an ihm vollziehen konnte, dann hier. Während er Stich für Stich
fortfuhr, sein Grab auszuheben, kehrte er in Gedanken zu jenem Tag zurück, da
er die Wunderkraft Gottes zum ersten und einzigen Mal erlebt hatte. Sein Pate
hatte ihm gezeigt, dass eine mit Wasser gefüllte Schweinsblase bergauf rollen
konnte. Damals hatte er sich geschworen, nie wieder Fragen zu stellen, die über
seinen Verstand gingen. Aber er hatte sich nicht daran gehalten.
»Wo ist mein Sohn?«
Teofilo erkannte die Stimme sofort.
»Chiara â du?«
Er warf den Spaten hin und machte einen Schritt auf sie zu.
»Rühr mich nicht an!« Statt ihn zu begrüÃen, hob sie zur Abwehr die
Arme.
Eine Weile schauten sie sich wortlos an. Seit der Kaiserkrönung
hatten sie sich nicht mehr gesehen. Sie war immer noch schön wie ein Engel.
Doch ihr Gesicht war blass, und ihre Augen glänzten wie im Fieber.
»Weshalb bist du gekommen?«, fragte er.
»Gib mir mein Kind zurück«, sagte sie.
»Dein Kind?«
»Ja â Nicchino!«
»Ich ⦠ich weiÃ, nicht, wovon du sprichst.«
Wortlos reichte Chiara ihm einen Brief. »Lies das!«
Mit zitternden Händen rollte er das Pergament auseinander.
Das Schreiben enthielt nur einen einzigen Satz.
Wenn Ihr Euren Sohn wiedersehen wollt, dann gebt
zurück, was uns gehört.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte er.
»Das fragst du mich?«, erwiderte sie.
Als er sie ansah, erschrak er. Ihre Züge waren wie die einer Maske,
ihre Augen zwei Schlitze, die Funken sprühten.
»Glaub mir, Chiara. Ich habe wirklich keine Ahnung.«
Plötzlich verwandelte sich ihr Gesicht. Die Maske zerbrach wie eine
tönerne Schale, und aus ihren Augen sprach nur noch Angst, grenzenlose,
verzweifelte Angst.
»Du und deine Brüder, ihr wollt das Geld«, sagte sie. »Ihr sollt es
haben, ich verzichte auf alles. Nur, gebt mir mein Kind zurück ⦠Bitte!«
Teofilo las noch einmal die wenigen Worte. Endlich begriff er.
»Glaubst du ⦠glaubst du wirklich, ich könnte ⦠ich könnte jemals so etwas â¦Â«
»Ich weià nicht, was ich glauben soll«, unterbrach sie ihn. »Ich
weià nur, Ihr habt mein Kind entführt. Und jetzt wollt Ihr mich erpressen. Also
rede nicht drumrum!«
»Ich habe nichts damit zu tun!« Teofilo zeigte auf den Brief. »Das
ist nicht meine Schrift, das ist die Schrift eines Kopisten! Gregorio muss ihn
bezahlt haben, er kann ja selber kaum die Feder halten.«
»Hör auf zu lügen«, sagte sie. »Immer versteckst du dich hinter
deinem Bruder. Dabei, in Wahrheit â¦Â« In ihre Angst mischte sich Verachtung.
»Die Verbrechen, die in deinem Namen geschehen sind â was ist damit? War das
alles Gregorio? Obwohl du der Papst warst? Der Herrscher von Rom? Du hast sogar
deinen Nachfolger vergiftet, um wieder auf den Thron zu gelangen!«
»Nein, Chiara, das ist nicht wahr!«, rief er. »Ich weiÃ, was die
Leute sagen, aber das stimmt nicht. Ich bin kein Mörder! Ich bin nie in Pesaro
gewesen. Es war ein Mönch, er hat sich deshalb aufgehängt! Und ich habe dein
Kind nicht angerührt. Das musst du mir glauben! Ich schwöre!«
»Du? Schwören?«, fragte sie. »Bei wem? Bei der Hölle und ihren
Teufeln?«
»Bitte, Chiara, hör auf, so zu
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