Der Kinderpapst
gebracht. Sie
hatte es nicht mal bis zum Mittag ausgehalten und war noch vor dem Angelus auf
die Baustelle zurückgekehrt. Lieber wollte sie sich mit der ganzen Welt
zerstreiten, als allein die Angst um ihr Kind zu ertragen.
Ohne zu wissen, wie sie dort hingeraten war, stand sie plötzlich in
der Kammer, in der Nicchino früher geschlafen hatte. Als sie das leere Körbchen
sah, fing sie am ganzen Körper an zu zittern.
»Wie oft habe ich schon gesagt, ich will das verdammte Ding nicht
mehr sehen!« Sie hob das Körbchen vom Boden und ging zum Fenster, um es hinaus
auf die Gasse zu werfen.
»Jetzt reià dich aber zusammen!«, sagte ihr Vater, der ihr die
Treppe hinauf gefolgt war. »Jeder weiÃ, wie sehr du leidest, und ich würde
alles dafür hergeben, wenn ich dich irgendwie trösten könnte. Aber du kannst
nicht dein Unglück an anderen auslassen!«
Als sie in das Gesicht ihres Vaters sah, hätte sie ihn am liebsten
geschlagen. Warum war er immer so gut und verständnisvoll? Sie benahm sich wie
ein Scheusal, und trotzdem hielt er zu ihr. Das ging ihr noch mehr auf die
Nerven als die ewigen Fragen der Handwerker oder Annas Besserwisserei.
Plötzlich spürte sie, wie ihr die Tränen kamen, und sie stellte das
Körbchen wieder zurück auf den Boden.
»Ach Vater â¦Â«
Wie früher, als sie noch seine kleine Tochter gewesen war, sank sie
in seine Arme. Drei Wochen waren seit Nicchinos Verschwinden vergangen: drei
Wochen ohne ein Lebenszeichen. Jede Nacht wälzte sie sich in ihrem Bett hin und
her. Wenn sie überhaupt ein paar Minuten Schlaf fand, träumte sie von ihrem
Kind: Nicchino an ihrer Brust ⦠Nicchino bei seinen ersten Gehversuchen â¦
Nicchino brabbelnd und lachend, wie er die Ãrmchen nach ihr ausstreckt ⦠Und
jeden Morgen wachte sie auf, in einer anderen Welt, in der alles grau und leer
war, in der es kein Lachen und Brabbeln gab, um immer wieder aufs Neue das
Unbegreifliche begreifen zu müssen. Nur wenige Augenblicke hatte Anna den
Kleinen allein gelassen, weil sie einer Schar Pilger eine Kammer zeigen wollte.
Die kurze Zeit hatte gereicht, um ihr Kind zu verlieren.
»Ein Brief, der für Euch abgegeben wurde.«
Vor ihr stand Antonio, mit einer Pergamentrolle in der Hand.
»Gib her!«
Ungeduldig brach sie das Siegel. Das Schreiben enthielt nur wenige
Worte: Wenn Ihr Euren Sohn wiedersehen wollt, dann gebt
zurück, was uns gehört.
»Wer hat den Brief gebracht?«, fragte Chiara.
»Ein Diener der Tuskulaner«, sagte Antonio.
Chiara verstand nicht. Gebt zurück, was uns
gehört ⦠Was war damit gemeint? Sie hatte doch nichts, was den
Tuskulanern gehörte ⦠Plötzlich begriff sie: der Peterspfennig â der
Peterspfennig für ihr Kind ⦠Für einen Moment glaubte sie, ohnmächtig zu
werden. Doch dann spürte sie auf einmal neue Kraft. Wenn die Tuskulaner einen
Handel vorschlugen, gab es Hoffnung!
»Wohin willst du?«, fragte ihr Vater.
»Zu Benedikt!«
»Warte, ich komme mit!«
»Nein, das ist meine Sache!«
Ohne auf den Protest ihres Vaters zu achten, eilte sie auf die
StraÃe. Wie konnte Teofilo ihr das antun? Trotz aller Verbrechen, die in seinem
Namen geschehen waren â nie und nimmer hätte sie gedacht, dass er zu so etwas
imstande sein würde.
»Teofilo di Tusculo!«, rief sie, als sie das Haus der Tuskulaner in
Trastevere erreichte, und betätigte den Türklopfer. »Teofilo di Tusculo! Kommt
heraus! Ich will mit Euch sprechen!«
4
Gregorio gab der molligen Brünetten, die er gerade begattet
hatte, einen Klaps auf ihren schneeweiÃen Prachtarsch, und während er sich mit
der linken Hand das Hosenband festzog, schnippte er mit der rechten nach
Serafina, der buckligen Hausmagd der Laterna Rossa.
»Wein für alle!«
»Und wann wollt Ihr bezahlen? Ihr habt seit Monaten anschreiben
lassen!«
»Willst du mir frech kommen, du verfluchtes Krüppelweib?«
Gregorio warf einen Schuh nach ihr. Serafina duckte sich weg, doch
flink wie ein Affe verschwand sie in der Küche, bevor ein zweites Geschoss sie
treffen konnte. Während sich zu seinen FüÃen nackte Leiber paarten, rieb
Gregorio sich zufrieden das Gemächte. Ein wahres Meisterstück war ihm gelungen,
ein Geniestreich, um den selbst Petrus da Silva ihn beneiden würde ⦠Er hatte
einem Mönch einen Brief diktiert, der ihn
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