Der Kinderpapst
ehemalige Papst sich am Kirchpranger dem Zorn des
Volkes ausgesetzt habe. Doch stets hatte es in diesen Gerüchten geheiÃen, der
Tuskulaner habe die Schmähungen überlebt.
»Nein, nicht Benedikt«, erklärte der Diakon.
Irritiert schaute Petrus da Silva von seinem Pult auf. »Was soll das
heiÃen â nicht Benedikt?«
»Der Tote â¦Â«
»Aber Ihr habt doch gesagt, Seine Heiligkeit?«
»Ja, Seine Heiligkeit, Papst Damasus. Der Heilige Vater ⦠Er liegt
in seinem Bett und atmet nicht mehr.«
Petrus da Silva brauchte einen Augenblick, um zu begreifen. War der
Kerl verrückt geworden? Doch ein Blick in das Gesicht des Diakons reichte, um
ihn vom Gegenteil zu überzeugen.
»Führt mich zu ihm!«
Während er zu den Privatgemächern des Heiligen Vaters eilte, lieà er
sich Bericht erstatten. Damasus, so erklärte der Diakon, habe wie jeden Tag
nach dem Essen einen Mittagsschlaf gehalten, doch als man ihn habe aufwecken
wollen, habe er nicht reagiert â¦
»Habt Ihr einen Arzt rufen lassen?«
»Ja, Eminenz. Der Leibarzt Seiner Heiligkeit muss jeden Augenblick
kommen.«
Der Diakon öffnete die Tür zum päpstlichen Schlafgemach. Petrus
fasste sich an den Kragen. In der Kammer war es so heià und stickig, dass die
Fliegen von den Wänden fielen.
»Heiligkeit â¦Â«
Angetan mit einem weiÃen Nachthemd, lag Damasus reglos auf dem Bett.
Das Gesicht zu einer Grimasse verzerrt, grinste er wie ein Gnom, dem gerade ein
besonders böser Streich gelungen war. Petrus da Silva stürzte sich auf ihn,
rüttelte und schüttelte seinen Leib. Nur dreiundzwanzig Tage war Damasus im Amt
gewesen, nur lächerliche dreiundzwanzig Tage ⦠Doch der Papst rührte sich
nicht. Leblos rollte sein Kopf auf den Schultern hin und her.
»Wie könnt Ihr Euer Amt nur so feige verraten?«
Petrus da Silva hatte vom ersten Moment an gewusst, dass dieser Mann
nicht zum Nachfolger Petri geboren war. Während er in das Gesicht des Toten
blickte, hörte er noch dessen Gejammer: »Diese drückende Hitze, mein Herz kann
solche Temperaturen nicht ertragen â¦Â« Aber der Kaiser hatte nicht auf ihn
gehört, nur um einen Landsmann auf den Thron zu setzen. Petrus da Silva packte
den Leichnam mit beiden Händen und hob ihn in die Höhe.
»Ihr habt mich rufen lassen?«
Petrus drehte sich um. In der Tür stand der Leibarzt des Papstes. In
diesem Augenblick war es mit der Selbstbeherrschung des Kanzlers vorbei.
»Schert Euch zum Teufel!«
Voller Wut warf er den Leichnam zurück auf die Kissen.
3
»Lasst mich bitte in Ruhe!«, sagte Chiara. »Ich will einfach
nur arbeiten. Ist das zuviel verlangt?«
»Was regst du dich denn schon wieder so auf?«, erwiderte Anna.
»Wundert dich das?«, fragte Chiara. »Kann denn keiner auÃer mir eine
Entscheidung treffen?«
»Aber die Männer wollen doch nur wissen, ob sie die Tür zumauern
oder freilassen sollen.«
»Herrgott! Ich halte das nicht mehr aus! Jeder zerrt an mir. Die
Maurer, die Zimmerer, die Tischler, die Dachdecker â¦Â«
»Also, ich würde die Tür nur bis auf Brusthöhe zumauern«, erklärte
Anna, »und die obere Hälfte der Ãffnung freilassen. Als Durchreiche von der
Küche ins Refektorium. Das erspart den Nonnen später lange Wege.«
»Wenn du so schlau bist, warum hast du nicht längst so entschieden?«,
schnaubte Chiara. »Aber nein, das traust du dich nicht. Immer kommst du zu mir
angerannt. Statt einfach zu sagen, das machen wir jetzt so oder so oder so,
hältst du Vorträge, die kein Mensch hören will. Wie ein dummes kleines Kind!
Ach, lasst mich doch alle in Frieden!«
Chiara machte kehrt und lief die Treppe hinauf, obwohl sie dort gar
nichts zu tun hatte. Sie wusste ja, dass sie Anna Unrecht tat. Aber sie konnte
nicht anders. Alles ging ihr auf die Nerven, das Hämmern und Sägen, der Staub
und der Dreck, der Lärm und vor allem das Durcheinander, das in der Herberge
herrschte, seit das Gebäude zur AuÃenstelle ihres künftigen Klosters umgebaut
wurde. Sie war so gereizt, dass sie bei der kleinsten falschen Bemerkung in die
Luft ging. Doch noch schlimmer war es, wenn es nichts gab, worüber sie sich
aufregen konnte. Einmal hatte sie versucht, einen Tag allein im Stadthaus ihres
Vaters zu verbringen. Die Stille hätte sie fast um den Verstand
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