Der Kinderpapst
reden!«
Während er sprach, wieherte irgendwo ein Pferd. Teofilo drehte sich
um. Einen Steinwurf entfernt, halb versteckt zwischen den Bäumen, wartete
Chiaras Reisewagen.
»Komm«, sagte er und griff nach ihrer Hand.
»Du sollst mich nicht anrühren!« Sie machte einen Schritt zurück,
als hätte er die Seuche.
Ihre Abwehr schmerzte ihn mehr als alle Demütigungen, die er in
Albano erfahren hatte.
»Hast du solche Angst vor mir?«, fragte er.
Sie schlug die Augen nieder.
»Da drüben steht dein Wagen«, sagte er. »Fahren wir zu Gregorio,
jetzt gleich. Wir stellen ihn zur Rede, und wenn er dein Kind hat, wird er es
herausgeben. Das verspreche ich dir.«
Sie gab keine Antwort. Wie erstarrt stand sie da und rührte sich
nicht.
»Vertrau mir, bitte.«
Chiara hob den Blick. »Was verlangst du von mir?« Wieder wurde ihr
Gesicht zur Maske. Mit ausdrucksloser Miene schüttelte sie den Kopf. »Du hast
dein Leben lang gelogen und alle Menschen getäuscht, die dir vertraut haben.
Deine Mutter, deinen Paten. Und mich ⦠Uns alle hast du â¦Â« Mitten im Satz brach
ihre Stimme, und Tränen rannen aus ihren Augen. »Bist du überhaupt ein Mensch,
Teofilo di Tusculo? Oder bist du ein Ungeheuer?«
»Was ⦠was sagst du da?«
Er wollte protestieren, sich verteidigen, ihr erklären, wie alles
gekommen war. Er war zu jedem Geständnis bereit, zu jedem Versprechen â wenn
sie nur aufhörte, so von ihm zu denken. Aber als er ihr Gesicht sah, diese Angst,
dieses Misstrauen, diese Verachtung, brachte er keinen Ton über die Lippen. Sie
hatte ja nur ausgesprochen, was ihn selber quälte, bei Tag und bei Nacht. Und
er wusste die Antwort auf ihre Frage so wenig wie sie.
»Hier habt Ihr, was Ihr wollt!« Chiara zog eine Urkunde aus dem
Ãrmel und drückte sie ihm in die Hand.
Teofilo blickte auf das Dokument. Es trug sein eigenes Siegel: die
Ãbereignungsurkunde des englischen Peterspfennigs.
»Aber«, stammelte er, »das ⦠das habe ich dir doch geschenkt.«
»Bitte«, flüsterte sie. »Bring mir mein Kind zurück. Ich flehe dich
an â¦Â«
Auf dem Absatz machte sie kehrt und lief zu ihrem Wagen.
6
Worms am Rhein schien die einzige Stadt nördlich der Alpen zu
sein, die keine Beleidigung für das Auge war. Gleich bei seiner Ankunft war
Petrus da Silva die rege Bautätigkeit aufgefallen. Ãberall wuchsen neue Gebäude
in die Höhe, prachtvolle Kirchen und Paläste, vor allem das Paulusstift, das an
der Stelle der alten Burg Herzog Ottos errichtet worden war, sowie der
gewaltige Kaiserdom, dessen Bau Bischof Burchard vor einem halben Jahrhundert
begonnen hatte: eine kreuzförmige Basilika mit zwei halbrunden Chören, die auch
Rom zur Zierde gereicht hätte. Doch die baulichen Vorzüge der Stadt waren ein
schwacher Trost dafür, dass Petrus innerhalb eines Jahres nun schon zum zweiten
Mal die Alpen hatte überqueren müssen, um den Kaiser um die Ernennung eines
neuen Papstes zu bitten. Zum Glück hatte er erfahren, dass Heinrich in Worms
einen Hoftag abhielt. Sonst wäre er vergebens nach Sachsen gereist, wo der
Kaiser, wie es in Rom geheiÃen hatte, den Sommer über residierte.
»Wie gefällt Euch unsere neue Kirche?«, fragte Heinrich, als er
Petrus da Silva abseits des Hoftags in der halb fertigen Basilika empfing.
»Sie ist ein steinerner Lobpreis Gottes, Majestät, ein beeindruckendes
Denkmal der Schöpfung und Abbild jenseitiger Herrlichkeit. Jeder Gläubige, der
in diesem Haus beten darf, wird gestärkt an Geist und Seele daraus in die Welt
zurückkehren.«
Heinrich strahlte. »Ihr seid ein Mann von Glauben und Geschmack,
Euer Lob erfüllt mich mit Freude.« Dann runzelte er die Stirn. »Doch was zieht
Ihr für ein Gesicht? Habt Ihr schlechte Nachrichten?«
»Seine Heiligkeit, Papst Damasus, ist tot«, erklärte der Kanzler.
»Damasus â tot?«, fragte Heinrich entsetzt. »Wie konnte das
passieren?«
»Niemand war dabei. Man hat ihn tot in seinem Bett gefunden.«
»Wer steckt dahinter? Die Tuskulaner? Haben sie ihn umgebracht?«
Petrus da Silva schüttelte den Kopf. »Ich denke, der Heilige Vater
ist eines natürlichen Todes gestorben. Er war zu schwach für dieses Amt, und
dann die römische Hitze im August. Das alles war zu viel für ihn.«
Heinrich bekreuzigte sich.
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