Der Kinderpapst
aus und nahm sie so vollständig
in Besitz, dass kein Platz für ein anderes Gefühl mehr blieb.
»Ich hätte nicht davonlaufen dürfen«, sagte sie leise.
»Du meinst, als Teofilo mit dir seinen Bruder zur Rede stellen
wollte?«, erwiderte ihr Vater.
Chiara nickte.
»Mach dir keine Vorwürfe, du hattest Angst. Das ist verständlich.
Nach allem, was geschehen ist.«
»Nein, Vater. Ich war feige, so fürchterlich feige. Ich konnte
einfach nicht mehr denken. Aber wenn ich mir vorstelle, dass jetzt Nicchino
vielleicht nicht mehr â¦Â« Sie sprach den Satz nicht aus. »Das würde ich mir nie
verzeihen. Niemals!«
»Mein armes, kleines Mädchen. Aber glaub mir, es wird alles wieder
gut. Bestimmt wird es das.«
Er legte tröstend einen Arm um ihre Schulter. Während sie sich an
ihn schmiegte, kam ein Reiter in den Hof galoppiert.
»Endlich!«.
Chiara riss sich von ihrem Vater los und eilte aus der Kammer. Schon
auf der Treppe kam ihr der Bote entgegen.
»Ich habe alles versucht«, sagte er. »Aber sie haben mich nicht
vorgelassen.«
Ein einziger Satz, und das bisschen Hoffnung, das Chiara gehabt hatte,
war dahin.
»Das heiÃt, du hast mit niemandem gesprochen?«
Der Bote schüttelte den Kopf. »Nur mit den Torwächtern. Die
Tuskulaner haben sich in ihrer Burg verschanzt und rüsten wie zu einem Krieg.«
»Hast du gesagt, in wessen Auftrag du kommst?«
»Natürlich. Und ich habe auch gesagt, dass Ihr zu jedem Zugeständnis
bereit seid. Aber es hat nichts genützt. Sie wollen weder Euch noch sonst
jemand empfangen, der Euch vertritt.«
Chiara drehte sich zu ihrem Vater um. »Was, glaubt Ihr, hat das zu
bedeuten?«
»Wenn sie die Verhandlungen verweigern? Ich fürchte, dafür gibt es
nur eine Erklärung.«
»Welche?«
Ihr Vater zögerte.
»Bitte, sagt mir die Wahrheit.«
»Die Wahrheit weià ich so wenig wie du, ich kann auch nur
Vermutungen anstellen. Aber wenn sie Verhandlungen verweigern, dann, fürchte
ich, haben sie bereits, was sie wollen.«
Chiara begriff. »Ihr meint das Geld, nicht wahr?«
»Den Peterspfennig, ja. Du hättest die Urkunde nicht hergeben
dürfen. Das war ein schwerer Fehler.«
»Aber ich habe sie doch Teofilo gegeben, nicht seinem Bruder.«
»Bist du sicher, dass er sie auch behalten hat?«
»Habt Ihr daran Zweifel?«, fragte sie. »Er hat mir doch geschworen,
dass er mit der Sache nichts zu tun hat, dass er genauso ahnungslos ist wie â¦Â«
Sie stockte. Nein, es hatte keinen Sinn, sich selber zu belügen. Es
war keine Vermutung, es war die Wahrheit.
»Ihr habt Recht, Vater«, sagte sie. »Teofilo hat die Urkunde
Gregorio gegeben. Er steckt mit ihm unter einer Decke. Eine andere Erklärung
gibt es nicht. Sonst würden sie verhandeln.«
Plötzlich wurden ihre Knie so weich, dass sie nach dem Geländer
greifen musste.
»Vielleicht ist alles ganz anders, als es zu sein scheint«, sagte
ihr Vater. »Vielleicht ist das sogar ein gutes Zeichen, wenn Teofilo ihm die
Urkunde gegeben hat. Vielleicht hat er das ja getan, damit Gregorio deinen Sohn
herausgibt. Ja, so wird es sein, ganz sicher. Teofilo ist dein Vermittler, dein
Sachwalter. Er wird dafür sorgen, dass du Nicchino schon bald wieder im Arm
halten kannst â¦Â«
Chiara hörte die Worte, doch sie halfen ihr nicht. Weil sie spürte,
dass ihr Vater selbst nicht daran glaubte.
»Und wenn Teofilo mich verraten hat?«, flüsterte sie. »Wieder
einmal?«
10
»Wo ist mein Bruder?«, fragte Teofilo
»Ich weià es nicht, Herr!«, antwortete die Köchin.
Er zeigte auf den Stallburschen an ihrer Seite. »Und du? Du verschweigst
doch was? Heraus mit der Sprache!«
»Glaubt mir, Herr, ich habe den Herrn auch nicht gesehen.«
Teofilo nahm einen Pfirsich aus dem Korb. Während er das Stück Obst
in der Hand drehte, schritt er die Reihe der Mägde und Dienstboten ab, schaute
jedem einzelnen ins Gesicht und wiederholte seine Frage. Aber alle schüttelten
nur die Köpfe.
»Hat mein Bruder denn niemandem gesagt, wohin er will?«
»Nein, Herr.«
»Wirklich nicht, Herr.«
»Und keiner von euch hat hier im Haus ein Kind bemerkt? Ein Kind von
ungefähr einem Jahr?«
»Nein, Herr.«
»Wirklich nicht, Herr.«
»Habt ihr vielleicht etwas gehört ?«
»Nein,
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