Der Kinderpapst
Kopf.
»Auch nicht in Eurem Herzen?«
Mit einem milden Lächeln schaute Bartolomeo sie an. Chiara senkte
den Blick.
»Der Mensch, von dem Ihr sprecht, ist mir zuwider. Er ist der gröÃte
Sünder Roms.«
»Ist das nicht doppelter Grund, dass er unserer Fürsorge bedarf?«
»Habt Ihr vergessen, welche Verbrechen er begangen hat?«, fragte
Chiara. »Unzählige Menschen mussten für ihn das Leben lassen, Kinder sind
verhungert wegen seiner Prasserei, die ganze Stadt hat er zugrunde gerichtet,
die heilige Kirche für immer geschändet.«
»Deus caritas est« , sagte der Abt. »Wer
weiÃ, vielleicht ist Teofilo di Tusculo â¦Â«
»Bitte sprecht den Namen in meiner Gegenwart nicht aus!«
»Vielleicht ist Teofilo di Tusculo«, fuhr Bartolomeo unbeirrt fort,
»in alledem, was passiert ist, gar nicht sein eigener Herr gewesen. Und hat nur
so gehandelt, wie er gehandelt hat, weil er so handeln musste .«
»Wie soll das möglich sein?«
»Das kann ich selber nicht mit Bestimmtheit sagen, meine Tochter.
Aber wer weiÃ, vielleicht ist der Mann, dessen Namen Ihr nicht hören wollt,
weil er Euch so viel bedeutet, ein Bruder des zwölften Jüngers.«
Chiara stutzte. »Ihr meint â Judas?«
»Ja, Judas.« Bartolomeo nickte. »Ich habe viel über ihn nachgedacht
in letzter Zeit. Keine Tat scheint uns verachtungswürdiger als der Verrat
dieses Mannes. Doch haben wir wirklich das Recht, so über ihn zu urteilen, wie
wir es tun? Vielleicht war Judas ja nicht nur der Verräter und Sünder, für den
wir ihn halten, sondern in dem, was er tat, zugleich ein Werkzeug der
göttlichen Vorsehung.«
»Dunkel sind Eure Worte, ehrwürdiger Vater. Sie ⦠sie machen mir
Angst.«
»Ich will versuchen, Euch ihren Sinn zu erhellen, damit sie Euch
weniger bedrohlich scheinen.« Der Abt legte zwei Finger ans Kinn und dachte
nach. Dann sagte er: »Stellt Euch einmal vor, was wohl passiert wäre, wenn
Judas den Herrn nicht verraten hätte. Wäre dann das Erlösungswerk überhaupt
möglich gewesen?«
»Warum nicht?«, fragte Chiara verwundert. »Gott ist doch allmächtig.«
»Gewiss ist er das, und trotzdem bedarf die Vorsehung unserer
Mitwirkung, damit sie sich erfüllt, so wie der Weizen des Düngers bedarf, damit
er gedeiht. Deshalb frage ich mich, ob dasselbe nicht auch für Judas gilt.
Jesus wollte ja den Opfertod am Kreuz sterben, aus freien Stücken, um den
Willen seines Vaters zu erfüllen und uns Menschen von der Erbsünde zu befreien.
Aber damit er ans Kreuz geschlagen wurde, musste Judas ihn zuvor an die Römer
verraten. Ohne seinen Kuss wäre Christus nicht ausgeliefert worden, und Pontius
Pilatus hätte an seiner Stelle den Mörder Barabas verurteilt. Was aber wäre
dann aus uns Menschen geworden?«
Chiara zögerte. »Ihr glaubt, ohne Judas wären wir immer noch mit der
Sünde unser Ureltern behaftet?«, fragte sie schlieÃlich.
»Ich hatte gewusst, dass Ihr mich versteht«, bestätigte der Abt, und
seine Augen leuchteten. »Ja, meine Tochter, wir haben nicht das Recht, Judas zu
verdammen. Im Gegenteil. Er hat unser Mitleid verdient. Wie muss dieser Mann
gelitten haben! Er liebte Jesus doch genauso wie alle anderen Jünger auch. Und
doch war es sein Schicksal, ihn zu verraten. Weil es nicht anders ging, weil
die göttliche Vorsehung es so wollte, es von ihm verlangte !
Sein Ende ist der Beweis! Nachdem er Jesus verraten hatte, war er so verzweifelt,
dass er sich selber erhängte. Obwohl er wusste, dass er mit diesem seinem
Selbstmord die göttliche Gnade für immer verwirkte und bis ans Ende aller
Zeiten in der Hölle würde büÃen müssen. Was für ein Opfer â die eigene
Verdammnis als Preis für die Erlösung der Menschheit. Wollt Ihr über einen
solchen Mann wirklich den Stab brechen?«
Chiara spürte, wie die Worte ihres Beichtvaters zu wirken begannen,
ein süÃes, schleichendes Gift, gegen das sie sich wehren musste.
»Was hat das alles mit dem Mann zu tun, von dem wir sprechen?«,
fragte sie. »Teofilo di Tusculo hat niemandem ein Opfer gebracht. Er hat zu
seinem eigenen Vorteil gehandelt und mich für Geld verraten, fünfhundert Pfund
Silber, um weiter mit seinen Brüdern zu prassen.«
»Auch Judas Ischarioth hat dreiÃig Silberlinge bekommen«,
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