Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kinderpapst

Der Kinderpapst

Titel: Der Kinderpapst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
Vom Netzwerk:
Scharen von Spatzen flatterten über
dem Petersplatz in den Himmel empor. Ermilina, die seit dem frühen Morgen mit
ihrem Mann und ihren Söhnen auf die Proklamation gewartet hatte, schlug das
Zeichen des Kreuzes. Die Prophezeiung ihres Beichtvaters hatte sich erfüllt:
Ihr jüngster Sohn, ihr kleiner Teofilo, für dessen Leben sie bereit gewesen
war, ihr eigenes Leben zu opfern – er war wirklich und wahrhaftig ein Erwählter!
Zwölf Jahre nach seiner Geburt hatte Gott ihre Opferbereitschaft endlich
belohnt und ihn zu seinem Stellvertreter berufen, auf dass er die Christenheit
regiere … Was für ein übergroßes, unfassbares Glück! Sie stellte sich auf die
Zehenspitzen, um einen Blick auf ihren Letztgeborenen zu erhaschen. Doch alles,
was sie zu sehen bekam, war die Silhouette eines in prächtige Kleider gewandeten
Kindes, das sich wie ein Schemen im Dunkel der Basilika verlor, inmitten einer
Schar von Greisen.
    Â»Verfluchter kleiner Hosenscheißer!«, knurrte Gregorio an ihrer
Seite.
    Â»Halt’s Maul, Idiot«, wies sein Vater ihn zurecht. »Du solltest dich
lieber freuen. Dank dem kleinen Hosenscheißer ist unsere Vormacht auf
Jahrzehnte gesichert. Bis dein Bruder stirbt, kommt keine römische Familie den
Tuskulanern gleich.«
    Gregorio zog ein Gesicht, als würde sein Vater ihm einen Dolch ins
Herz bohren, und in seinen Augen standen Tränen. Der Anblick tat Ermilina in
der Seele weh. Sie wusste ja, welche Demütigung Teofilos Ernennung für ihren
Ältesten bedeuten musste. Seit er sprechen und laufen konnte, hatte Gregorio
versucht, es seinem Vater recht zu machen, doch was immer er tat, es war zu
wenig. Er war ein guter Jäger und Reiter, und vielleicht würde er auch ein
tapferer Kämpfer und Soldat sein, sollte es je dazu kommen, dass er die Ehre
der Tuskulaner im Krieg verteidigen musste. Aber seine Gaben reichten nicht
aus, um anderen, höheren Anforderungen zu genügen, so wenig wie die Gaben
seiner Brüder Ottaviano und Pietro, die der Schöpfer genauso wenig bedacht
hatte wie ihn, die sich aber ohne Murren in das Schicksal fügten, das die Vorhersehung
ihnen beschieden hatte.
    Ja, viele sind berufen, doch nur wenige sind auserwählt …
    Die Worte des Heilands halfen Ermilina, ihr Mitleid zu unterdrücken.
Nicht aus freien Stücken hatte sie Teofilo vor seinen Brüdern bevorzugt,
sondern um Gottes Willen zu tun. Sie litt doch selber am meisten unter der
Härte, mit denen sie ihren anderen Söhnen begegnen musste. Doch der Herr hatte
nun mal all seine Gnade über ihren Letztgeborenen ausgegossen, und deshalb war
es ihre Pflicht, diesem einen ihrer Söhne all die Liebe und Unterstützung
angedeihen zu lassen, zu der sie fähig war. Warum sonst war es ihre Bestimmung
gewesen, Teofilos Gesicht im Antlitz des Jesuskindes zu erkennen?
    Â»Heil Euch, Benedikt!«, rief Alberico und forderte mit rudernden
Armbewegungen die Umstehenden auf, es ihm gleich zu tun.
    Â»Heil Euch, Benedikt!«, riefen auch Ottaviano und Pietro, zusammen
mit immer mehr Menschen.
    Nur Gregorio kaute an seinen Nägeln.
    Â»Muss ich dich erst in den Arsch treten?«, fragte sein Vater. »Heil
Euch, Benedikt!«
    Ermilina nickte ihrem Ältesten aufmunternd zu.
    Â»Heil Euch, Benedikt«, presste Gregorio zwischen den Lippen hervor.
Und während auch er den Ruf wiederholte, stimmte der ganze Platz in den
Lobpreis des neuen Papstes ein, ein Chor aus vielen Tausend Stimmen. »Heil
Euch, Benedikt!«
    17
    Teofilo hörte die Rufe, wie eine Woge brauste der Lärm ihm entgegen
und schwappte über ihm zusammen, als wolle er ihn fortspülen. Vor Angst wurde
ihm ganz flau im Magen. Konnte es wirklich sein, dass dieser Jubel ihm galt?
Die Leute mussten verrückt geworden sein – er war doch weder ein König noch ein
Kaiser oder auch nur ein Graf. Gottes Stellvertreter auf Erden … Säuerlicher
Speichel sammelte sich in seinem Mund, und sein Magen zog sich zusammen. Nie
zuvor im Leben hatte er sich so klein und erbärmlich gefühlt.
    Â»Ihr müsst Euch Eurem Volk zeigen!«, raunte der Kanzler.
    Â»Nein«, stammelte Teofilo, »das … das kann ich nicht. Bitte!«
    Er zitterte am ganzen Körper. Doch Petrus da Silva kannte keine
Gnade, mit sanftem Druck schob der Kanzler ihn zum Portal. Teofilo war viel zu
schwach, um sich zu wehren. In seiner Verzweiflung klammerte er sich an

Weitere Kostenlose Bücher