Der Kinderpapst
den
übergroÃen Kreuzstab und trat hinaus ins Freie, wo ihn der Kardinal mit dem
Putenhals erwartete, die Tiara zwischen den greisen Händen. Teofilo senkte sein
Haupt. Als er die schwere Krone auf seinem Kopf spürte, glaubte er, sein Hals
würde unter der Last abknicken.
»Habemus papam! Habemus papam!«
Eine Fanfare ertönte, und die Menschen auf dem Platz knieten nieder â eine einzige, machtvolle, vieltausendköpfige Woge der Verehrung.
In diesem Moment erwachte Teofilo aus seiner Angst, und die Augen
liefen ihm über. Die ganze Stadt, der ganze Erdkreis schien zusammengekommen zu
sein, um ihm zu huldigen. Nicht nur einfache, in Sackleinen gekleidete Menschen
sanken vor ihm in den Staub, Bauern und Handwerker und Händler, auch hohe und
höchste Würdenträger, in prachtvollen, kostbaren Gewändern, taten es ihnen
gleich, Herzöge und Grafen, Ritter und Knappen: Dieselben Männer, die bei der
Kaiserkrönung vor seinem Onkel niedergesunken waren, beugten nun vor ihm das
Knie.
Plötzlich fiel alle Angst von ihm ab, und unbändiger Stolz erfüllte
seine Brust. Ohne das Gewicht seiner Krone mehr zu spüren, hob er den Kopf, um
über den Platz zu schauen. Die Mitglieder sämtlicher römischer Adelsfamilien:
die Sabiner, die Oktavianer, die Stephanier, sogar die Crescentier â sie alle
jubelten ihm zu.
Als hätte er einen Becher Wein getrunken, schien sich für einen
Moment der Platz vor ihm zu drehen. Hatten die Worte seiner Mutter sich
tatsächlich erfüllt? War er von nun an der mächtigste Mensch der Welt?
»Dein Wille geschehe«, betete er leise, »wie im Himmel, also auch
auf Erden.«
Wie von einer höheren Macht beseelt, ohne dass Petrus da Silva ihn
nötigen musste, breitete Teofilo die Arme aus, um den Segen zu spenden. Ja, er
war bereit, das Amt anzunehmen, für das die Vorsehung ihn bestimmt hatte, und
seines Amtes war es, dem Willen des himmlischen Vaters zu gehorchen, jetzt und
immerdar. Und als hätte der Heilige Geist seine Zunge gelöst, kamen all die
vertrackten Worte und Formeln, die der Kanzler bis zur Verzweiflung mit ihm
geübt hatte, ohne dass er imstande gewesen wäre, sie einmal fehlerfrei
aufzusagen, ganz von allein über die Lippen.
»Die Heiligen Apostel
Petrus und Paulus,
auf deren Machtfülle und Autorität wir vertrauen, sie selbst mögen beim Herrn
für uns Fürsprache halten.«
»Amen!«, hallte der ganze Platz zurück.
»Aufgrund der Fürsprache und Verdienste der seligen, allzeit jungfräulichen Mutter Maria,
des heiligen Erzengels
Michael, des heiligen Johannes des
Täufers sowie der heiligen Apostel und aller Heiligen, erbarme
sich euer der allmächtige Gott. Vergebe Er euch alle Sünden und führe Er euch
durch Jesus
Christus zum ewigen Leben.«
»Amen!«
»Und der Segen des allmächtigen Gottes, des Vaters und des Sohnes
und des Heiligen Geistes, komme auf euch herab und bleibe bei euch alle Zeit.«
»Amen!«
Mit jedem Amen, das Teofilo entgegenscholl, vermehrte sich der
Rausch, der von ihm Besitz ergriffen hatte. Konnte es herrlichere Freuden geben
als den Jubel, den solche Verehrung in ihm entfachte? Er war Petrus, der
Nachfolger Jesu Christi und Stellvertreter Gottes auf Erden! Und er würde alles
tun, damit sein Wille geschah â¦
»â¦Â wie im Himmel, also auch auf Erden â¦Â«
Der Applaus war noch nicht verhallt, da fiel sein Blick auf ein
ernstes Augenpaar. Nur wenige Schritte von ihm entfernt entdeckte er seine
Cousine, Chiara di Sasso, das Mädchen, das ihm als Ehefrau versprochen worden
war. Die hellblauen Augen unverwandt auf ihn gerichtet, kniete sie an der Seite
ihres Mannes, an der Seite Domenicos, des ältesten Sohns der Crescentier, den
sie vor wenigen Wochen geehelicht hatte. Ihr blondes Haar war unter einem
Kopftuch versteckt, nicht mal die Spitze einer Locke lugte darunter hervor.
»Habemus papam! Habemus papam!«
Plötzlich verspürte Teofilo inmitten all der Menschen eine so
entsetzliche Einsamkeit, als hätte man ihn mutterseelenallein in den Wäldern
ausgesetzt, irgendwo in den Albaner Bergen, wohin kein anderer Mensch jemals
mehr gelangte. Und während der riesige Platz erneut von seinem Lobpreis
widerhallte, schmeckte er auf den Lippen das Salz der Tränen, die ihm aus den
Augen rannen.
Vorbei war der Jubel, vorbei der Rausch. Voller Angst vor
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