Der Kinderpapst
um zu widersprechen. Doch als
er Teofilos Gesicht sah, fügte er sich. »Gewiss, Ewige Heiligkeit.« Mit
unwilliger Miene winkte er den Diakon, der das Birett für den neuen Kardinal
schon bereithielt, zurück und setzte sich auf seinen Stuhl.
Teofilo räusperte sich. Seine Stunde war gekommen. Um mit der Macht,
die der verhasste Stuhl ihm verlieh, dafür zu sorgen, dass Gottes Wille geschah â nicht nur im Himmel, sondern auch auf Erden.
»Wir denken«, sagte er, »dass unser einfaches Gewand einige von Euch
verwundert. Wir wollen Euch deshalb erklären, warum wir die Mönchskutte tragen
statt des gewohnten Ornats.«
Er machte eine Pause, um seine Gedanken zu ordnen. Die ersten Sätze
hatte er auswendig gelernt, um nicht ins Stocken zu geraten, und sorgsam darauf
geachtet, dass er von seiner Person nur im Pluralis
majestatis sprach, um seine Würde und Autorität zu bestärken. Aber wie
sollte er seine Rede weiterführen?
Statt sich den Kopf zu zerbrechen, beschloss er, auf die Hilfe des
Heiligen Geists zu vertrauen.
»Es war Pfingsten, in St. Peter«, sagte er, »am Ende des Hochamts.
Ich wollte â ich meine, wir wollten â das Volk Gottes segnen. Aber als ich mich vom Altar
abwandte, erschrak ich. Sah so das Volk Gottes aus? Was ich sah, waren Bischöfe
und Kardinäle, die mit Gold und Silber behangen waren wie Fürsten und Könige.
Manche von ihnen waren in Begleitung von Frauen â ja, ein paar hatten sogar
ihre Kinder dabei, die sie gemeinsam mit diesen Frauen zeugten. Sagt, meine
Brüder, ist das die Kirche, die Gott uns befohlen hat?«
Tatsächlich, es war heraus! Erleichtert schaute Teofilo in die
Runde. Doch die Kardinäle erwiderten seinen Blick, als wäre er nicht ganz bei
Troste.
»Habt Ihr nicht verstanden, was ich meine?«, fragte er unsicher.
Die meisten der Greise schüttelten die Köpfe.
»Vielleicht könntet Ihr Euch ein wenig genauer ausdrücken, Ewige
Heiligkeit?«, bat sein Kanzler, Petrus da Silva.
»Ich ⦠ich weià nicht, wie wir es sagen sollen, Eminenz. Ich meine
nur, als ich ein Kind war, da hatte ich einen Lehrer, einen sehr weisen Mann,
vielleicht habt Ihr schon mal von ihm gehört? Giovanni Graziano ist sein Name.«
Kardinal Giampini, ein rotgesichtiger Mensch mit kleinen
Schweinsaugen und wulstigen Lippen, der im Konsistorium das Wort der Sabiner
führte, rümpfte die Nase. »Ihr meint den Eremiten, der über dem Nemi-See haust
und nackt in den Wäldern herumspringt?«
»Er badet im kalten Wasser eines Bergbachs, um sein Fleisch
abzutöten«, erwiderte Teofilo. »Ein heiligmäÃiger Mann. Schon in jungen Jahren
hat er seine Familie und allen Besitz aufgegeben, um dem Beispiel des Herrn zu
folgen und der Welt zu entsagen. Drei Tugenden hat er meine Brüder und mich
gelehrt: Armut, Keuschheit und Gehorsam.«
»Die drei Weisungen Jesu Christi aus dem Johannes-Evangelium«, sagte
Kardinal Pisano, dessen Truthahnfalten bereits dunkelrot anliefen, mit mühsamer
Beherrschung. »Wir danken Ewiger Heiligkeit für die Erinnerung. Doch jetzt
sollten wir endlich â¦Â«
»Nein«, schnitt Teofilo ihm zum zweiten Mal das Wort ab. »Ich â ich
meine, wir  â, wir wollen nicht nur an die Tugenden
des Herrn erinnern, wir möchten, das heiÃt: wir verlangen ,
dass die Priester und Bischöfe und Kardinäle der heiligen Kirche Gottes, dass
sie alle und ohne Ausnahme nach diesen Tugenden leben, um ein Beispiel zu
geben, wie einst Jesus Christus, statt zu prassen und zu völlen und zu huren,
wie viele es offenbar tun. Weil Prasserei und Wollust uns ins Verderben führen,
genauso wie der Hochmut, das Gegenteil des Gehorsams â¦Â«
»Aber das ist doch bereits Hochmut!«,
protestierte Kardinal Baldessarini, ein hagerer Mann mit hohlen Wangen, der
sich sonst nur zu Wort meldete, wenn es um die Verteidigung seiner Familie und
deren Besitztümer ging. »Leben, wie der Herr einst lebte? Das kann und darf nur
der Herr selbst! Jeder Versuch, es ihm gleichzutun, ist sündige AnmaÃung.
AuÃerdem, wie stellt Ihr Euch das vor? Sollen wir in Sack und Asche wandeln?
Ihr vergesst, was wir unseren Familien schuldig sind.«
Teofilo hatte mit solchem Widerspruch gerechnet und sich darum
gründlich auf die heutige Sitzung vorbereitet. »âºWenn jemand zu mir kommtâ¹Â«,
zitierte er das Lukas-Evangelium,
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