Der Kinderpapst
Mal Adieu sagte, und dann ⦠Wieder
spürte sie das warme, klebrige Blut an ihren Schenkeln, und mit dem Blut ihre
ganze Verzweiflung. Sie hatte alles hergegeben, was ihr Glück ausmachte, den
höchsten Preis bezahlt, ihr Herz für ihre Pflicht geopfert, aus Gottesfurcht
und Gehorsam. Doch es war umsonst gewesen. Sie hatte ihr Kind verloren.
»Warum hat Gott das gewollt?«
Der Mönch erwiderte mit seinen hellen, blauen Augen ihren Blick.
»Gott hat das nicht gewollt«, sagte er. »Doch er musste dich strafen. Weil du
das Kind, mit dem er deine Ehe segnete, in deinem Herzen nicht angenommen hast.
Darum hat er es dir genommen, bevor es dir wirklich gehörte.«
»Aber ich habe doch kehrtgemacht. Obwohl es das Schlimmste und
Schwerste war, was ich je getan habe.« Sie musste weinen, aber sie hatte keine
Tränen mehr.
Der Mönch strich sich nachdenklich über sein Kinn. »Die Sünde ist
nicht die böse Tat, sondern die böse Absicht. Der freie Wille, der uns
ermöglicht, uns gegen Gottes Willen zu entscheiden. Er bringt das Verderben in
unsere Seele, die sich den Leib durch unsere Taten zu ihrem Werkzeug macht.«
Während er sprach, wanderte sein Blick von Chiara zum Nachbarbett,
wo zwei Schwestern die nackte Leiche einer Frau in ein Leinentuch einnähten, um
sie zur Beisetzung vorzubereiten.
»Sie war nur wenige Jahre älter als Ihr«, sagte Abt Bartolomeo
leise. »Eine Mutter von vier Kindern. Sie hat ihren Mann mit einem Seifensieder
betrogen. Der Schlagfluss hat sie aus dem Leben gerissen.«
Chiara verstand, was er ihr sagen wollte, und schaute ihn voller
Entsetzen an.
»Bin ich eine Verfluchte, ehrwürdiger Vater?«
Der Mönch schüttelte den Kopf. »Deus caritas est« ,
erwiderte er. »Gott ist die Liebe, er wird Euch verzeihen. Aber nur«, fügte er
hinzu, »wenn Ihr Eure Schuld einseht und tätige Reue zeigt. Nicht allein mit
Worten â mit Taten müsst Ihr dem Herrn beweisen, dass
Ihr die Versuchung in Euch überwunden habt.«
»Wie, ehrwürdiger Vater?«, fragte sie. »Was muss ich tun, um Gott zu
beweisen, dass ich ihm folgen will?«
Statt einer Antwort verlieà Abt Bartolomeo ihr Bett und öffnete eine
Tür. Chiara richtete sich auf den Ellbogen auf.
Vor ihr stand Domenico.
Mit einem Seufzer sank sie zurück auf ihr Kissen und wandte den Kopf
zur Seite.
»Was verlangt Ihr von mir?«, flüsterte sie. »Er war doch dabei, bei
dem Anschlag in der Kirche. Er ist einer von den Verschwörern. Ich habe doch
das Blut an seinem Gewand gesehen.«
Abt Bartolomeos Stimme wurde streng. »Du sollst kein falsches Zeugnis
reden wider deinen Nächsten!«, sagte er. »Euer Mann liebt Euch. Geht mit ihm
zurück nach Hause.«
17
Die Laterna Rossa war ein Lokal, das Gregorio di Tusculo besuchte,
wann immer er sich in Rom aufhielt. In der berüchtigten Taverne im Schatten des
Pantheons, die des Nachts mit rotem Lichtschein den Besuchern die Richtung
wies, gab es die hübschesten Mädchen der Stadt, die für einen Kupferlappen
einem Mann den Himmel auf Erden zeigten und manchmal das Fegefeuer dazu. Hier
war ein Mann ein Mann, der mit den Zähnen Nüsse knacken und auf Kommando furzen
konnte. Und das konnte niemand besser als Gregorio di Tusculo.
Doch in dieser Nacht durfte er nicht mal daran denken, den Fuà über
die Schwelle des Hurenhauses zu setzen. Stattdessen wartete er seit Stunden im
Sattel seines Pferdes drauÃen in der Dunkelheit, zusammen mit seinen Brüdern,
um in Petrus da Silvas Auftrag Ugolino aufzulauern, dem Sohn des Sabinergrafen.
Der Kanzler hatte ihm erklärt, was eine Hydra war, und wenn Gregorio dabei
helfen konnte, dem Ungeheuer einen Kopf abzuschlagen, war er mit Freuden dazu
bereit. Vielleicht hörte sein Vater dann endlich auf, ihm als Geist zu
erscheinen. Jedes Mal, wenn Gregorio den Geist seines Vaters sah, erschrak er
sich fast zu Tode. Weil der Anblick ihn daran erinnerte, welcher Fluch auf
seiner Seele lastete, solange ihm kein Priester die Absolution erteilte, um ihn
vor Gott von seinen Sünden freizusprechen.
Ob sein Vater sich wohl bei den Heiligen und Erzengeln für ihn
verwandte, wenn es ihm gelang, den Auftrag Petrus da Silvas zu erfüllen?
»Ich glaube, da kommt jemand.«
Gregorio schaute in die Richtung, in die sein Bruder Ottaviano wies.
Dreimal hatte die Glocke von Santa Maria della Rotonda schon zur
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