Der Kinderpapst
Kopf.
»Warum nicht, Chiara? Warum?«
Er packte sie an den Schultern und schüttelte sie. Doch sie hielt
die Augen weiter fest geschlossen und würde sie immer geschlossen halten, egal,
wie sehr er sie schüttelte. Es war gut, wenn er ihr wehtat. Der Schmerz lenkte
sie ab.
»Sag, dass du mich nicht liebst!«, verlangte er. »Nur wenn du das
sagst, lasse ich dich in Ruhe.«
Sie hob den Blick und sah ihn an. Tränen rannen über seine Wangen,
und es brach ihr das Herz, dass sie sie nicht trocknen, dass sie ihn nicht
trösten durfte. Sie durfte nur sagen, was sie nicht sagen wollte, weil es eine
Lüge war. Aber es war das, was sie sagen musste.
»Am Grab von Francesca und ihrem toten Jungen habe ich zu Gott
gebetet, dass er mir ein Kind schenkt. Als Zeichen, dass ich zu meinem Mann
gehöre. Jetzt hat Gott mein Gebet erhört.« Sie unterbrach sich, weil ihre
Stimme erstickte. Und während sich ihr Unterleib zusammenkrampfte, überwand sie
sich ein letztes Mal: »Kann er deutlicher zu einem Menschen sprechen, als er zu
mir gesprochen hat?«
Teofilo stöhnte laut auf. In seinen Augen standen Tränen.
»Was wirst du jetzt tun?«, fragte er. »Kehrst du zurück zu deinem
Mann?«
Chiara hatte so oft das Gleichnis aus der Bibel gehört, von dem
schmalen, steilen Pfad, und dem breiten, ebenen Weg â¦Aber was nützte ihr das?
Jetzt stand sie selbst an einer solchen Scheide, die über ihr ganzes künftiges
Leben entschied, und sie wusste nicht, welchen Weg sie wählen sollte â¦
Plötzlich zog sich ihr Unterleib in einem Krampf zusammen, als
wühlte die Hand eines Riesen in ihr, und etwas Warmes rann an ihrem Schenkel herab.
»Chiara!«, hörte sie Teofilos Stimme. »Um Himmels willen!«
Sie wollte etwas sagen. Doch bevor sie einen Ton hervorbringen
konnte, wurde ihr schwarz vor Augen, und sie sank zu Boden.
14
»Ave Maria, gratia plena, dominus tecum,
benedicta tu in mulieribus â¦Â«
Gregorio kniete vor dem Altar der Burgkapelle und betete â seine
Lippen waren schon ganz fusselig von den vielen Pater Nosters und Ave Marias.
Sein Vater hatte ihm den Auftrag dazu gegeben, zur Rettung seiner Seele vor dem
Fegefeuer. Immer wieder erschien ihm Albericos Geist. Er suchte ihn nachts im
Schlaf heim, bei Tage tauchte er plötzlich am Esstisch auf oder trat aus einer
Kammer hervor â ja sogar auf der Latrine war er seinem Sohn erschienen. Und
immer schien er so wirklich und wahrhaftig wie im Leben: ein übermächtiger,
zorniger Mann, der ihn in Angst und Schrecken versetzte.
»â¦Â et benedictus fructus ventris tui, Iesus â¦Â«
Gregorio machte eine Pause, um Atem zu schöpfen, bevor er den
nächsten Vers sprach, da hallten in seinem Rücken Schritte.
»Wo ist Euer Bruder?«
Gregorio drehte sich um. Vor ihm stand Domenico.
»Wo Euer Bruder ist, habe ich gefragt! Ich muss mit ihm sprechen!«
Gregorio war so überrascht, dass ihm nichts Besseres einfiel, als
Petrus da Silvas Lüge zu wiederholen.
»Mein Bruder, ich meine der Papst, ist in Rom.«
»Ich glaube Euch kein Wort! Wo hat er sich versteckt?«
Domenico war fast einen ganzen Kopf kleiner als Gregorio, und
wahrscheinlich würde ein einziger Faustschlag genügen, um ihn auÃer Gefecht zu
setzen. Trotzdem hatte Gregorio Angst. Domenico war auÃer dem Kanzler der
einzige Zeuge, der von seinem Geheimnis wusste. Wollte er ihn erpressen?
»Wie ⦠kommt Ihr darauf, dass Teofilo, dass Seine Heiligkeit sich
versteckt hat? AuÃerdem, was wollt Ihr überhaupt â¦Â«
»Wo ist Euer Bruder«, wiederholte Domenico, der nicht die geringste
Angst zu haben schien, und rückte ihm noch näher auf den Leib. »Seid gewarnt â¦
Ich weià mehr über Euch, als Euch lieb ist.«
Gregorio hatte es gewusst. Jetzt gab es keinen anderen Ausweg mehr
als die Wahrheit.
»Ich weià nicht, wo mein Bruder ist«, gestand er. »Ich wollte, ich
wüsste es. Ich suche ihn selber ⦠für einen Prozess ⦠Fragt den Kanzler! Er
wird es bezeugen!«
Gregorio hob die Hand zum Schwur, als plötzlich ein Mönch in die
Kapelle kam. Seiner Kutte und der Tonsur nach gehörte er zum Kloster von
Grottaferrata.
»Gelobt sei Jesus Christus!«, wandte er sich an Domenico, ohne
Gregorio zu beachten. »Endlich habe ich Euch gefunden.«
»Was wollt Ihr von mir?«, fragte Domenico.
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