Der Kindersammler
ins Bad. Er hatte vor drei Jahren, als er in diese Wohnung zog, am Bad kaum etwas verändert. Teils, weil er keine Lust und keine Zeit hatte, aber auch, weil das Bad etwas an sich hatte, das er originell fand. Ober dem Waschtisch und in der Dusche waren noch Reste von alten venezianischen Kacheln vorhanden. Die Stellen, an denen die Kacheln herausgebrochen waren, hatte er mit wasserfester, gräulicher Farbe gestrichen, was wider Erwarten gut aussah und das Bad noch lebendiger machte. Die Armaturen waren aus Messing, überladen, verschnörkelt und überaus kitschig, was dem Ganzen eine besondere Note gab. Eigentlich war das Bad so schräg, dass es schon wieder schön war. Er hatte dem Ganzen mit einem Spiegel in einem pompösem Goldrahmen und verspielten Wandlampen aus Murano-Glas noch eins draufgesetzt. Einziges Stiefkind in diesem Bad war die Wanne. Sie stand auf Löwenfüßen und sah aus, als würde sie umkippen, wenn man sich nur über den Rand lehnte, um ein Handtuch vom Boden aufzuheben. Die Emaille war durch den Wasserfluss etlicher Jahrzehnte und den ständig tropfenden Wasserhahn angerostet, und auf dem Boden hatte sich ein gelblicher Streifen abgezeichnet, der auch nicht mehr wegzuscheuern war.
Eigentlich hatte sich Kai eine neue Wanne kaufen wollen, aber er war irgendwie nicht dazu gekommen, und da er sie nie benutzte, war es ihm dann irgendwann egal
Jetzt spülte er sie mit der Dusche einmal flüchtig aus, verschloss den Abfluss mit dem Wannenstöpsel, und während das warme Wasser dampfend und mit Macht einströmte, betete er, dass die Wanne dicht sein möge.
Badezusatz. Verflucht noch mal, so etwas hatte er gar nicht im Haus. In seiner Not kippte er einen Schuss Wollwaschmittel ins Wasser. Was für weiche Wolle gut war, konnte für zarte Haut nicht schlecht sein.
Bei allem, was er tat, sah ihm Allora fasziniert zu, und sie schnupperte begeistert den Duft des Wollwaschmittels.
Es dauerte keine fünf Minuten, bis die Wanne voll war. Fantastisch, dachte er. Gar nicht so übel. Vielleicht sollte ich in Zukunft doch mal baden. Allora zog sich in Windeseile aus und stieg in die Wanne. Er konnte gar nicht anders, er musste sie einfach ansehen. Sie hatte einen schönen Körper. Das harte, entbehrungsreiche Leben und die viele Arbeit brachten bessere Erfolge als ein Fitnessstudio.
Sie spürte seine Blicke nicht. Sie versank in den Schaumbergen des Wollwaschmittels, schloss die Augen und grunzte wohlig. »Lass dir Zeit«, sagte er. »Ich bin nebenan.«
Im Wohnzimmer öffnete er die Terrassentür weit. Warme, laue Nachtluft strömte herein. Er ging einen Moment auf die Terrasse und atmete tief durch. In seiner Badewanne lag Allora. Die Caspar Hauserin von San Vincenti. Er hatte das dumpfe Gefühl, dass da ein Riesenproblem auf ihn zukam. Offenbar schien er derartige Geschöpfe anzuziehen. Schon, als er noch ein Kind war. Alle herrenlosen Hunde und verwahrlosten Katzen kamen zu ihm und wichen nicht mehr von seiner Seite, als wüssten sie instinktiv, dass er der Einzige war, der helfen konnte. Ein Vogel, der aus dem Nest fiel, landete mit ziemlicher Sicherheit vor seinen Füßen, Schildkröten schleppten sich zum Sterben in seine Nähe. Und nun Allora. Es beschämte ihn, dass ihm vernachlässigte Tiere einfielen, wenn er an Allora dachte.
Er ging wieder hinein und zu seiner Bar. So nannte er einen Mauervorsprung über einem tiefen Fenster, auf dem er die Flaschen mit den harten Getränken aufgereiht hatte. Kai griff nach einer Flasche Whisky und goss sich ein Wasserglas halb voll. Der erste Schluck schoss ihm wie ein Pfeil durch den Kopf, sodass er erschrocken innehielt, aber danach durchflutete ihn eine wohlige Wärme, und er beruhigte sich wieder.
So in Gedanken versunken saß er fast eine Dreiviertelstunde. Von Allora war kein Laut zu hören. Einen Moment dachte er, dass ihr vielleicht etwas passiert sein könnte, aber dann verwarf er den Gedanken sofort wieder. Schließlich war sie alt genug, um allein in der Wanne zu liegen.
Kommet ruhig alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, dachte er amüsiert und nahm einen tiefen Schluck. Dabei fiel ihm die sonst immer leicht hochnäsige Monica Benedetti ein. Vor einem knappen Jahr war sie an einem heißen Augustnachmittag völlig unvermittelt in seinem Büro in Tränen ausgebrochen. Es waren nicht einfach Tränen. Es war ein Meer von Tränen. Er befürchtete schon, sie würde innerlich vertrocknen, wenn er nicht schleunigst eine Mineralwasserflasche
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