Der Kindersammler
der eine Frau allein wohnte, zu erscheinen.
»Gut. Ist irgendetwas passiert?«
»Nein, nichts. Ich wollte dich sehen. Das ist alles.«
Anne stutzte kurz, aber sie reagierte nicht darauf. »Komm rein«, sagte sie. »Draußen ist es jetzt schon verdammt kühl.«
»Findest du? Ich sitze immer draußen. Wenn es sein muss, die ganze Nacht.«
Sie gingen ins Haus.
»Was ist mit Carla?«, fragte Anne.
»Sie schläft schon. Hat heute den ganzen Tag die Straße gepflastert und war sehr müde. Sie hat nicht bemerkt, dass ich weggefahren bin, aber ich musste unbedingt mal raus.«
Anne nickte. Es war eine komische Situation, aber sie versuchte, so normal wie möglich darauf zu reagieren. »Ein Glas Wein?« »Gerne.«
Anne stellte den Wein auf den Tisch und setzte sich Enrico gegenüber. Noch vor einer Viertelstunde war sie todmüde gewesen, jetzt war sie hellwach.
»Hast du dich in Valle Coronata gut eingelebt?«, fragte er. »Einigermaßen. Wenn das mit Felix' Foto nicht passiert wäre, wäre es mir leichter gefallen.«
Enrico nickte. »Es ist eine mysteriöse Sache. Bist du schon ein bisschen schlauer, wer es gewesen sein könnte?«
»Nein, gar nicht. Ich habe nicht die leiseste Idee. Wahrscheinlich werde ich mein Lebtag nicht herausfinden, was da los war. Genauso wenig, wie ich wahrscheinlich jemals erfahren werde, was mit Felix geschehen ist.« Anne wunderte sich über ihre eigenen Worte. Es wäre leicht gewesen, Enrico von Allora zu erzählen, aber aus irgendeinem Grunde, den sie selbst nicht kannte, tat sie es nicht. Es geschah ganz unbewusst.
»Ich denke oft an dich«, sagte Enrico leise. »Ich stelle mir vor, wie du hier lebst. Allein, schweigend, im Dunkeln. Besonders wenn ich arbeite, bist du mir immer gegenwärtig. Ich bewundere dich. Du bist eine starke Frau, Anne, die
Wenigsten könnten das. Aber ich habe Angst, dass dir etwas passiert. Darum bin ich gekommen.
Manchmal überlege ich mitten in der Nacht, ob ich nicht losfahren und nachsehen sollte, ob alles in Ordnung ist.«
Anne lächelte. »Ich bin nicht mehr vierzehn. Ich weiß mir ganz gut zu helfen. Und außerdem ist Kai oft hier.« Zwar fühlte sich Anne durch Enricos Anteilnahme geschmeichelt, aber gleichzeitig keimte in ihr ein ungutes Gefühl, und sie versuchte zu erspüren, was er wirklich wollte.
»Wie schön, dass ihr euch gefunden habt. Ich mag Kai sehr, er ist ein netter Kerl.« Blablabla, dachte Anne, alles Plattitüden. In Wahrheit interessierte sich Enrico für Kai so viel wie für das Schwarze unter dem Nagel.
»Ich will den Pool sauber machen«, sagte Anne völlig unvermittelt und registrierte sehr wohl, dass Enrico unmerklich zusammenzuckte. Doch dann lächelte er.
»Wie kommst du denn darauf?«
»Es nervt mich, dass ich nicht sehen kann, was für Viehzeug darin herumschwimmt. Ich habe Angst hineinzugehen. Neulich hat Kai gebadet, und alles Mögliche hat ihn unter Wasser berührt. Das ist ein Horror. Sag mir doch mal bitte, wie man das Wasser ablassen kann? Ich habe nichts gefunden. Keinen Hahn, den man öffnen kann, kein Rohr, das nach außen führt, nichts.«
»Warte aufs Frühjahr. Jetzt kommt der Herbst, jetzt hat es doch keinen Zweck mehr. Es ist schon viel zu kühl zum Baden.«
»Trotzdem. Ich muss wissen, wie man das Wasser ablässt! Du musst für diesen Fall doch irgendetwas vorgesehen haben?«
»Wann fährst du zurück nach Deutschland?«
»Ich weiß es nicht.« Anne ließ ihre Blicke in der Küche umherwandern. »Manchmal wache ich auf und möchte meine Sachen packen und sofort abhauen. Manchmal denke ich, ich halte es noch ein paar Wochen aus. Und dann gibt es auch Tage, da möchte ich überhaupt nicht mehr zurück. Also, ich weiß es wirklich nicht.«
»Ich mach dir einen Vorschlag.« Enrico trank sein Glas in einem Zug aus, was Anne bei ihm noch nie gesehen hatte. »Vergiss den Pool. Was meinst du, was das für eine Schweinearbeit ist, wenn du ihn sauber machen willst. Da stehst du tagelang im Schlamm und schaufelst Dreck aus dem Becken. Das ist Schwerstarbeit und furchtbar eklig, wenn du zwischen Schlangen, Kröten und Molchen stehst. Ich verspreche dir, den Pool für dich sauber zu machen, wenn du in Deutschland bist. Und wenn du zurückkommst, hast du ein sauberes Becken und klares Wasser.«
Anne überlegte. »Vielleicht werde ich bei der Gelegenheit ja auch gleich eine Umwälzpumpe einbauen und ihn ein bisschen vergrößern. Ich muss mal mit Harald sprechen, vielleicht kann er in Deutschland noch ein paar
Weitere Kostenlose Bücher