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Der Kindersammler

Titel: Der Kindersammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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du tust, was ich sage. Dann brauche ich dich nicht zu fesseln und zu knebeln, und wir haben es beide leichter. Wenn du allerdings anfangen solltest zu br ü llen, oder wenn du dich wehrst, dann werde ich sehr, sehr ungem ü tlich. «
    » Was machen Sie mit mir? « , fl ü sterte Benjamin, und seine Knie tanzten auf der Decke. Er konnte sie nicht mehr stillhalten und kontrollieren, derart schlotterte er vor Angst.
    » Das wirst du noch fr ü h genug merken. «
    » Tun Sie mir weh? «
    » Das kommt darauf an. «
    Benjamin dachte, wie dumm er gewesen war. Im Grunde hatte er doch gar keine Probleme gehabt! Was waren schon zwei verhauene Klassenarbeiten? Es erschien ihm alles so l ä cherlich im Gegensatz zu der Klemme, in der er jetzt steckte. Warum war er nicht zu seiner Mutter gegangen und hatte mit ihr geredet? Warum hatte er blo ß die Schule geschw ä nzt? Die anderen in seiner Klasse hatten jetzt gerade Musik, und er k ö nnte dort sein. Er w ü rde neben Andi sitzen und heimlich unter der Bank Autoquartett spielen. Vielleicht w ü rde Herr Finkus auch mit ihnen » Heute hier — morgen dort « singen. Das Lieblingslied der ganzen Klasse. Alles w ä re wie immer. Alles w ä re wie fr ü her. Und er w ü rde weiterleben.
    Und dann fiel ihm pl ö tzlich ein, dass er irgendwo geh ö rt hatte, man sollte mit den Verbrechern reden. Dann lernten sie einen besser kennen, dann fanden sie einen nett, und dann konnten sie einem nicht mehr wehtun.
    » Zieh dich aus « , befahl Alfred, w ä hrend er den K ü chenschrank und das Regal durchw ü hlte. Er brauchte jetzt dringend Alkohol. Egal, in welcher Form. Egal was. Er musste sich bet ä uben, beruhigen, die Spannung war einfach schon zu gro ß . Er hatte ja jede Menge Zeit, und das wollte er auch auskosten. Wenn er nichts zu trinken fand, war die ganze Chose innerhalb der n ä chsten halben Stunde vorbei.
    » Sie haben mich ja noch gar nicht nach meinem Namen gefragt. « Benjamin versuchte, ruhig zu sprechen, aber seine Stimme klang dennoch hoch und zittrig.
    » Ich will ihn auch nicht wissen « , sagte Alfred. Endlich. In der ä u ß ersten Ecke des Regals fand er hinter Konservenb ü chsen mit gemischtem Gem ü se, gesch ä lten Tomaten und v ö llig ü beralterten Gl ä sern mit Spargelspitzen eine
    Flasche Kirschlik ö r, in der aber nicht mal mehr ein Viertel drin war. Alfred goss den Lik ö r in ein Wasserglas und begann zu trinken. Langsam, aber ohne Pause.
    » Ich hei ß e Benjamin Wagner « , sagte Benjamin. » Ich bin elf Jahre alt, gehe in die f ü nfte Klasse und wohne in der Weserstra ß e 25. Meine Hobbys sind- «
    Alfred schoss hinter dem Tresen hervor und br ü llte: » Bist du taub? Ich hab dir gesagt, ich will es nicht wissen! Ich will deinen Schei ß namen nicht wissen! Ich will auch nicht wissen, wie alt du bist und in welche Schule du gehst und ob deine Eltern dick oder d ü nn, reich oder arm oder gottwei ß was sind! Es ist nicht wichtig! Es tut nichts zur Sache! Und wenn du nicht den Mund h ä ltst, dann sorge ich daf ü r, dass du es tust, verstanden? «
    Benjamin nickte eingesch ü chtert. Der Mann w ü rde nie sein Freund sein.
    » Zieh dich endlich aus, du kleine Kr ö te! Na los, mach schont «
    Benjamin zog sich langsam den Pullover aus. In der Laube war es nicht viel w ä rmer als drau ß en. Das Fenster, durch das der Mann eingestiegen war, stand noch offen. Wie konnte er den Mann nur dazu bringen, die Laube mal f ü r eine Weile zu verlassen? Dann k ö nnte er vielleicht aus dem Fenster klettern und fliehen! Aber ihm fiel ü berhaupt kein Trick ein. In den Kinderb ü chern waren die Kinder auch immer in ausweglosen Situationen, aber sie schafften es dennoch jedes Mal, irgendwie zu entkommen. Im letzten Moment hatten sie immer eine tolle rettende Idee. Benjamin hatte keine.
    » Wird's bald? « , fragte Alfred.
    Benjamin zog langsam seine Jeans aus, dann seine Str ü mpfe. Er hatte am ganzen K ö rper eine G ä nsehaut.
    » Weiter! « , befahl Alfred. Er sa ß vor dem Bett, trank und sah Benjamin zu. Die K ü chenhandt ü cher und die in Streifen geschnittene Tischdecke lagen griffbereit.
    Benjamin versuchte zu vergessen, was er tat und was hier gerade geschah. Er war in Gedanken bei seinen Eltern. Bei seiner wundersch ö nen, schrecklich kranken Mutter, die so gut tr ö sten konnte, wenn irgendetwas wehtat. Die so lange, helle Haare hatte und eine so weiche Haut. Die den besten Hackbraten der Welt mit der tollsten braunen So ß e ü berhaupt

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