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Der Kindersammler

Titel: Der Kindersammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Alfred stand in der Küche und starrte sie voller Angst an.
    »Er ist im Krankenhaus«, sagte sie. »Sie haben ihn gleich dabehalten. Mach dir keine Sorgen, es ist bestimmt nichts Schlimmes. Die Ärzte kriegen ihn wieder hin. Er ist halt einfach zu schnell gewachsen«
    Alfred nickte. »Was machen sie denn mit ihm?«, fragte er leise.
    »Sie waschen sein Blut. Das ist nicht ganz in Ordnung.«
    Wie konnte man denn Blut waschen?, überlegte Alfred. Mit Wasser? Spülten sie jetzt Rolf irgendwie durch, war da Dreck in ihn hineingekommen? Er beschloss, es gleich morgen mit einer Maus oder einem Frosch zu versuchen.
    Die Mutter breitete die Arme aus. »Komm mal her, mein kleiner Hase.«
    Alfred erschrak. So etwas hatte seine Mutter noch nie gesagt, und so hatte sie ihn auch noch nie genannt. Sehr langsam und vorsichtig näherte er sich ihr, denn er hatte Angst, geschlagen zu werden, wenn er nicht tat, was sie wollte.
    Sie zog ihn auf ihren Schoß, schlang die Arme um ihn und drückte ihn an sich.
    »Jetzt bist du mein großer Junge«, flüsterte sie, und die Lider ihrer trockenen Augen waren flammend rot.
    Alfred konnte die Zärtlichkeiten seiner Mutter nicht erwidern, aber er verstand, was dieser Satz bedeutete: Rolf würde nicht wiederkommen.
    Alfred wollte zu seinem Bruder ins Krankenhaus. Unbedingt. Aber Edith nahm ihn nie mit. Aus Protest hörte Alfred auf zu essen und zu trinken. Alles, was er essen musste und was Edith ihm mit Gewalt einflößte oder in den Mund stopfte, spuckte er durch die Küche. Edith verprügelte ihn dafür, aber er ertrug die Schläge und hörte nicht auf zu bitten und zu betteln, mit ins Krankenhaus gehen zu dürfen. Schließlich gab Edith nach, obwohl sie nach wie vor der Meinung war, dass Kinder in Krankenhäusern nichts zu suchen hätten.
    Rolf hatte keine Haare mehr auf dem Kopf und war noch dünner als vorher, aber er lächelte, als er Alfred sah. Seine Lippen waren ganz trocken und klebten aufeinander, und es fiel ihm schwer zu sprechen.
    »Lass dir nichts gefallen, Kleiner, hörst du?« Alfred nickte tapfer, obwohl ihm zum Heulen war. »Du musst dich jetzt alleine durchschlagen, aber das schaffst du. Du brauchst Kraft und einen klaren Kopf. Das ist alles. Und vergiss nicht: Du bist der Chef. Du bestimmst über dein Leben. Es ist verdammt wichtig, dass du nie die Kontrolle verlierst. Sei auf der Hut und lass dich nicht überrumpeln. Das ist das Geheimnis.«
    »Ich werde nie so stark sein wie Pjotr«, hauchte Alfred.
    »Dann musst du klüger sein.« Er machte eine kurze Pause und atmete ein paar Mal tief durch. »Was machst du, wenn du ein Seil nicht zerreißen kannst?«
    »Dann nehme ich ein Messer.«
    »Na also«, Rolf versuchte zu grinsen. »Dann hast du ja kapiert, was ich meine.«
    »Was redest du da für einen Unsinn?«, fragte Edith.
    Rolfs Stimme wurde immer leiser. »Es geht ums Überleben, Mama, ich hab verloren, ich will nicht, dass Alfred auch noch verliert.«
    Alfred legte sich zu Rolf aufs Bett, der ihn in den Arm nahm, und zum ersten Mal in seinem Leben betete Alfred zu irgendwem, den er nicht kannte, aber den er bat, die Zeit anzuhalten und ihn ewig so liegen zu lassen.
    Edith sagte nichts. Sie sah auf ihre beiden Söhne und überlegte, wie es gekommen war, dass sie sich so sehr liebten. Sie hatte es ihnen nicht beigebracht.
    Als Rolf eingeschlafen war, gingen sie. Alfred weinte während der ganzen Rückfahrt. Als er vor dem Haus aus dem Wagen ausstieg sagte er: »Danke, Mama.«
    Nur zwei Wochen später war die Beerdigung. Für Alfred war alles, was passierte, wie ein Film, in den er sich hineingeschummelt hatte, den er aber noch nicht verstand. Er konnte sich nicht vorstellen, dass in diesem blumengeschmückten Sarg Rolf lag. Rolf, der sich nicht bewegte, nichts sagte, nicht gegen den Deckel klopfte, sondern alles mit sich geschehen ließ. Man konnte ihn doch nicht einfach in der Erde vergraben! Rolf hatte ihm noch im Krankenhaus gesagt, er wisse nicht, wo er sein würde, wenn die Krankheit ihn kaltgemacht haben würde, aber irgendwo sei er ganz bestimmt. Irgendwo, wo es keine Krankheiten und keine Pjotrs gäbe, denen man die Rippen brechen müsse. Irgendwo, wo er ganz in Ruhe beobachten könne, was auf der Erde geschieht. Und vielleicht könne er Alfred ja sogar begleiten und verhindern, dass etwas Schlimmes passiert. Er wisse es nicht, aber er werde alles versuchen, bei ihm, bei Alfred zu sein, auch wenn Alfred es nicht spüren würde.
    Und jetzt dieser fest

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