Der Kindersammler
Im Wohnzimmer hingen die getrockneten Blumensträuße von der Decke und wurden hin und wieder mit bunten Autolacken eingesprüht, überall standen Schalen mit duftenden Blüten, hingen Blumenkränze vor den Fenstern, auf jedem freien Fleck welkten die unterschiedlichsten Blumensorten in diversen Größen und Vasen, in der Spüle faulten Blumenreste und verstopften den Ausguss mit zähem, glasigem, stinkendem Schleim.
Veronika legte sich jeden Abend feuchte Salbeiblätter auf die Warze und schlief schon nach fünf Monaten nicht mehr mit ihm.
Eines Nachmittags, als er unerwartet früher nach Hause kam, fand er sie mit gespreizten Beinen im ehelichen Bett, vor ihr kniend ein Jüngling in karierten Boxershorts und mit ungewöhnlich dickem und geschmacklosem Schnurrbart, dem der Speichel aus den Mundwinkeln tropfte. Auf Grund seines starren, interessierten Blickes sah er aus, als wolle er gerade einen Krebsabstrich machen.
Kai war so perplex, dass er noch nicht mal in der Lage war, dem Jüngling eins in die Schnauze zu hauen. Ohne ein Wort verließ er das Schlafzimmer, aber das Bild brannte sich in sein Hirn wie die glühende Zigarette in den Unterarm eines Folteropfers.
Von diesem Tag an konnte er Veronika nicht mehr in die Augen sehen. Ihr Gesicht erschien ihm wie eine Leinwand, auf der der immer gleiche scheußliche Film ablief. Die darauf folgende Scheidung war schwierig, da er es ablehnte, mit Veronika auch nur noch ein einziges Wort zu wechseln.
Kai zog danach in eine Kölner Dreizimmerwohnung mit eigener Dachterrasse und eigenem Parkplatz in der Tiefgarage, in der es keine einzige Pflanze gab, nur Glas und Chrom, indirekte Beleuchtung und einen eleganten grauen Teppichboden, auf dem sich jeder Schritt abzeichnete. Wichtigste Requisiten in der Wohnung waren Glasreiniger und Staubsauger, im übrigen arbeitete er bei einer renommierten Maklerfirma und hatte häufig wechselnden Geschlechtsverkehr. In der Küchenschublade bewahrte er ausschließlich Kondome und Papiertaschentücher auf, und irgendwann machte er sich nicht mehr die Mühe, die Namen und Telefonnummern derjenigen Frauen zu notieren, mit denen er das Wochenende verbracht hatte.
über Veronika erfuhr er, dass sie bei einer Kreuzfahrt mit ihrem neuen Liebhaber in einer stürmischen Nacht über Bord gegangen und ertrunken war. Die Nachricht interessierte ihn so sehr wie der Wetterbericht den Todeskandidaten fünf Minuten vor seiner Hinrichtung. Allerdings ließ er allein in seiner hypermodernen Bulthaup-Küche die Champagnerkorken knallen, weil er nun keinen Unterhalt mehr zu zahlen hatte.
Die Kopfschmerzen am nächsten Morgen waren die letzte Erinnerung an Veronika, danach dachte er nie wieder an sie.
Die Maklerfirma expandierte. Vor fünf Jahren bekam er das Angebot, die Leitung des italienischen Büros in Siena zu übernehmen. Da er seinen unpraktischen, empfindlichen Teppichboden ohnehin satt hatte, überlegte er nicht lange und nahm die Herausforderung an.
Kai ging ins Haus und holte die Grappaflasche, um sich auf der Terrasse in der Dunkelheit zu betrinken. Wie so oft. Und jedes Mal konnte er sich am nächsten Morgen nicht mehr erinnern, wie er den Abend verbracht und was er getan hatte.
30
Als Kai Gregori am nächsten Morgen im Büro saß, fiel ihm zum ersten Mal auf, dass seine Sekretärin Monica offensichtlich gar keine echte Blondine war. Der Haaransatz war schon einen Finger breit und so schwarz wie der Espresso, den sie ihm auf den Schreibtisch stellte.
»Prego, Signor.« Sie lächelte, und ihre Zähne er-schienen ihm gelblich. Als sie aus dem Zimmer ging, sah er, dass ihre Knie fast gegeneinander schlugen, und er stellte sich vor, wie ihre Oberschenkel aneinander rieben und rötliche, wunde Flatschen hinterließen. Plötzlich wurde ihm speiübel, und er schüttete den Espresso in die Blumenvase. Monica war für ihn immer eine schöne Frau gewesen, und jetzt musste er mehrmals heftig schlucken, um sich nicht zu übergeben.
Er rieb sich die Schläfen. Sein Kopf schmerzte. Er stand auf und trat ans Fenster. In der Via del Porrione, die direkt zum Campo führte, war um diese Zeit nicht viel Betrieb, die meisten Italiener waren jetzt bereits in ihren Häusern verschwunden, um zu Mittag zu essen. Die Fassade von San Martino erschien ihm heute düster und kalt. Die riesigen Steinquader, aus denen die gewaltigen Mauern gebaut waren, hatten ihn immer fasziniert, jetzt hatte er das Gefühl, von ihnen erschlagen zu werden. Was hatte er
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