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Der Kindersammler

Titel: Der Kindersammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Bachlauf und begann, das kalte Wasser zu trinken. Als ihm übel wurde, musste er sich ins feuchte Moos legen. Und da war sie wieder, die Erinnerung, die er nicht zulassen durfte.
    Der Junge hatte nach seiner Mutter geschrien, als er begriff, dass er sterben würde.
    Nach seiner Mutter. Das war so schwer zu begreifen.
    Nein, er durfte jetzt nicht weiterdenken.
    Er sprang auf und rannte zum Naturpool, sprang ohne sich auszuziehen in das tiefschwarze, eiskalte Quellwasser, ohne auch nur einen Moment an die Kröten, Frösche, Molche und Wasserschlangen zu denken, die auf dem Grund des Beckens lebten, und tauchte unter. So lange, bis er es nicht mehr aushielt, bis er auftauchen und sich mit einem Atemzug geschlagen geben musste.
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    »Du bist völlig verrückt!«, brüllte Harald ins Telefon, sodass Anne ihr Handy zwanzig Zentimeter vom Ohr entfernt hielt. »Du bist seit zwei Tagen in diesem verfluchten Italien, wo sie einem nicht nur die Brieftasche, sondern auch die Kinder klauen, und willst gleich das erstbeste Haus kaufen? Spinnst du?« »Du kannst das nicht beurteilen, du hast es nicht gesehen!« »Anne, bitte! Miete, was du willst, aber doch nicht gleich kaufen!« »Dieses Haus kann man nicht mieten, man kann es nur kaufen.«
    Harald wurde ruhiger. Offensichtlich resignierte er bereits. »Ich versteh dich nicht. Ich versteh dich wirklich nicht! Du wolltest ein paar Wochen wegbleiben, ein paar Monate vielleicht, aber nur, wenn du irgendeinen Anhaltspunkt findest, wo Felix sein könnte ... Und jetzt ... was soll das? Willst du auswandern? Willst du für immer nach Italien ziehen? Willst du dich scheiden lassen?«
    »Mein Cott!« Anne stöhnte hörbar auf. »Werd doch nicht gleich immer so absolut! Das ist ein tolles Haus. Ein ganz besonderes. Es hat eine irre, einmalige Atmosphäre. So was findest du nicht an jeder Ecke. Ich habe das Gefühl, ich falle tot um, wenn ich nicht darin wohnen kann. Und wenn sich das ändert oder wenn ich zurückkomme, verkaufe ich es wieder. Wo ist das Problem?«
    »Die Italiener werden dich übern Tisch ziehen, Anne! Merkst du das nicht? Und du hast doch keine Ahnung von Häusern! Oder weißt du, wie die Klär grube funktioniert, ob die Abflussrohre und die Wasserleitung richtig verlegt sind, ob eine Drainage existiert, dis Dach vernünftig isoliert ist ... Himmel, da muss man auf tausend Dinge achten! Wahrscheinlich ist das Haus eine Bruchbude. Und hinterher bekommst du nur noch ein Drittel des Kaufpreises, wenn du wirklich verkaufen willst. Du kannst kaum Italienisch, du kennst keine Menschenseele, du kannst nur beschissen werden!«
    »Du bist ein elender Miesmacher. Für dich ist immer alles negativ, und die Welt wimmelt von Verbrechern und Vollidioten.«
    »Ich bin nur realistisch. Und ich will nicht, dass du einen riesigen Fehler machst.«
    »Erstens verkauft das Haus kein Italiener, sondern ein Deutscher ..., und zweitens hab ich mich in das Haus verliebt. Basta. In das Haus, mein Schatz! In die Lage, in die Atmosphäre, in das, was dieses Haus ausstrahlt. Und da sind mir die Drainage und die Klärgrube erst mal wurscht. Wenn ich mich in einen Menschen verliebe, ist es mir auch egal, ob er einen krummen Zeh oder einen Leberfleck hat.«
    Haralds Stimme wurde eiskalt. »Ich hab dich immer für eine ge schäftstüchtige, intelligente Person gehalten, aber das, was du hier sagst, ist blanke Dummheit.«
    Anne wurde wütend. »Und das, was du sagst, ist Arroganz. Du maßt dir an, über Dinge zu reden, die du gar nicht kennst, die du nie gesehen hast und die du überhaupt nicht beurteilen kannst!«
    Harald kam zurück auf den Teppich. »Ich bitte dich ja nur, keinen Fehler zu machen und nichts zu übereilen! Tu mir den Gefallen und erkundige dich! Ziehe jemand hinzu, der sich mit Häusern auskennt! Sieh dir alles genau an! Mehrmals und bei jedem Wetter. Besichtige das Umfeld, das nächste Dorf?
    Und schalte deinen Verstand ein! Entscheide bitte nicht aus dem Bauch heraus!«
    Anne hatte keine Lust mehr. »Noch irgendwas?«
    Harald versuchte, seiner Stimme einen warmen Klang zu geben. »Was du vorhast, ist sinnlos, Anne. Du reißt nur alte Wunden wieder auf und machst dich kaputt.«
    »Das hast du mir schon zu Hause hundertmal gesagt.«
    »Und ich werde es noch hundertmal sagen, wenn es einen Sinn hat.«
    »Bei mir sind keine Wunden aufzureißen, weil sie nie verheilt sind.«
    »Vielleicht ist es besser, wir hören jetzt auf.«
    »Ja. Vielleicht ist es besser. Gute Nacht.«
    »Schlaf

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