Der Klabautermann
nächtlichen Patrouillen durch das Schiff teilzunehmen, so war das ein außerplanmäßiger und nicht bezahlter Dienst, der vorher im Betriebsrat besprochen werden mußte. Schließlich war die Gewerkschaft auch an Bord vertreten und würde grundsätzlich erst einmal nein sagen. Eine Gewerkschaft, die ja sagt zu zusätzlichen Belastungen, gibt es nur im Märchenland.
»Wir werden die Patrouillen einsetzen, Herr Kapitän«, sagte Losse mutig, um aus dieser Diskussion herauszukommen. »Aber ich hoffe, daß der ganze Spuk in Singapur sowieso vorbei ist. Dann geht der ›Blinde‹ bestimmt von Bord.«
»Unerkannt! Das wäre eine Blamage für uns. Ich verschaffe einem ›Blinden‹ eine Freifahrt von Bali bis Singapur. Können Sie sich das vorstellen, Losse?«
»Kaum, Herr Kapitän. Aber so wird's kommen.«
Es kam nicht so. Es wurde alles nur viel schlimmer.
Dr. Schwengler und Beatrice nahmen die ›Fahndung‹ auf getrennten Wegen auf.
Während der Zahnarzt, den inzwischen ein Jagdfieber ergriffen hatte, das Abendessen im Restaurant ausnutzte, um sich an Konsul Fehrenwaldt heranzupirschen, tat Beatrice etwas, das eine Stewardeß eigentlich nie tun durfte und das ihre sofortige Entlassung zur Folge gehabt hätte, würde man sie dabei überrascht haben: In der Zeit, da die Damen zu Tisch saßen, inspizierte sie die Kabinen von Wera und Wilhelmine. Die zuständigen Kabinenstewards reagierten beide sehr entgegenkommend nach dem Motto: Nichts hören, nichts sehen.
Indem sie wie immer die Betten aufdeckten und die Schlafanzüge und Nachthemden kunstvoll auf dem zurückgeschlagenen Oberbett drapierten, Eiskübel nachfüllten, frisches Obst in die Flechtkörbchen legten, die Papierkörbe ausleerten und – falls bestellt – Sekt im Kühler abstellten und als Betthupferl auf jedes Kopfkissen eine Schokoladenpraline legten, vermieden sie es während der bewußten Zeit, in die Nähe der von Beatrice untersuchten Kabinen zu kommen.
Daß Beatrice gestört werden würde, war so gut wie ausgeschlossen. Das Abendessen auf einem Luxusschiff gehört zu den weltlichen Gottesdiensten: Wer einmal am Tisch sitzt und die tagtäglich erneuerte, immer überraschende, geradezu sagenhafte Speisekarte vor sich hat; wem der Getränkesteward bereits seinen Wein serviert – genau temperiert, der trockene Weiße kalt, der samtige Rote angenehm abgestimmt –, der kommt nie auf die Idee, seinen Tisch zu verlassen und noch einmal zurück in seine Kabine zu gehen. Nur ganz triftige, äußerst schwerwiegende Gründe könnten ihn von der Speisekarte entfernen.
Zu dieser Zeit sind die Kabinengänge auf allen Decks leer, ausgestorben, still … keine Gefahr also für Beatrice, überrascht zu werden.
Sie begann mit der Kabine von Wera Mederer. Eine etwas chaotische Kabine: Überall lagen Kleidungsstücke herum, hingen Kleider und Abendgarderoben an Haken, Stangen und Schrankschlüsseln, waren Schuhe auf dem Teppichboden verstreut und lagen zerknüllte Strumpfhosen auf der zweisitzigen Polsterbank am Fenster.
Da Frauen genau wissen, wo man BHs lagert, suchte Beatrice nicht lange in den Einbauschränken, sondern zog die oberste Schublade der Kommode auf. Der Griff war richtig: Wie ausgerichtete Soldaten lagen hier – im Gegensatz zu dem Chaos in der Kabine – Büstenhalter in allen Farben ordentlich aufgereiht; ihnen gegenüber, in korrekten, kleinen Stapeln, die Schlüpfer.
Beatrice nahm einen BH aus der Reihe, blickte auf das Einnähetikett und legte ihn zurück. Größe 5, Körbchen C … Ein Volltreffer. Aber kein eingesticktes Monogramm W.M. Was besagte das schon? Es konnte eine einmalige Zierde gerade für diesen rosafarbenen Spitzen-BH sein.
Schnell verließ sie wieder die Kabine des Ehepaares Mederer, sagte dem Kabinensteward Eduard Bescheid, daß alles erledigt sei, und fuhr ein Deck höher, um bei dem Ehepaar Möller nachzusehen.
Auch hier gab es kein Suchen: obere Schublade Kommode, BH-Reihe neben den Höschen. Irgendwie sind Frauen in ihren Gewohnheiten uniform.
Wie erwartet, fand Beatrice das gleiche wie bei Wera Mederer vor: Größe 5, Körbchen C. Aber …
In jedem BH war das Monogramm eingestickt: W.M.
Beatrice zog den rosa BH aus ihrer Tasche und verglich die Stickerei miteinander. Es gab gar keinen Zweifel: Es war die gleiche Schrift, die gleiche Stickerei … etwas verschnörkelte Buchstaben, romantisch, verspielt …
Wilhelmine Möller also! Beatrice setzte sich auf die Polsterbank am Fenster und hatte Sehnsucht nach einem
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