Der Klabautermann
Himbeergeist. Im Gegensatz zu der Kabine der Mederers war dies hier eine peinlich aufgeräumte Kabine. Nichts lag herum, nichts hing an den Wänden. Selbst die vielen gesammelten bunten Prospekte von den Häfen, die man bisher besucht hatte, lagen sauber gestapelt auf dem Nachttisch.
Wilhelmine Möller, einundsechzig Jahre, Gattin des Gartenarchitekten Julius Möller aus Ulm an der Donau. Eine jünger als 61 aussehende Dame, klug und voller Charme, immer diskret elegant, Zuhörerin bei jedem Konzert an Bord; die einzige, die sich aus der Bordbibliothek Kafka oder Dos Passos auslieh und im Gegensatz zu den meisten anderen Lesern Konsalik verschmähte, was ihre hohe kulturelle Bildung bewies – diese echte Dame sollte einen BH tragen, der morgens am Flaggenseil über dem Schiff flatterte?
Es war ein Zusammenhang, den Beatrice nicht begreifen konnte.
Bei Wera Mederer hätte sie das glatt hingenommen. Schon der chaotische Zustand der Kabine konnte einen ohne weiteres glauben lassen, daß Wera auch BHs verlor oder einfach – warum auch immer – irgendwo hinlegte und dann vergaß. Es gab da die verschiedensten Anlässe, sich der Halter zu entledigen. Es mußte nicht immer ein erotisches Abenteuer dahinterstecken; man konnte zum Beispiel des Nachts noch einmal schwimmen, zog sich an Deck um und lief dann, in den Bademantel gehüllt, zur Kabine zurück, ohne an den abgelegten BH zu denken. Als man ihn später vermißte, wehte er schon längst im Wind zwischen den Fähnchen.
Nur: Wer hatte die rosa Spitze als Flagge gehißt?
Beatrice schob die Schublade wieder zu und verließ die Kabine. Kabinensteward Riccardo, ein Italiener, kam aus der vordersten Kabine, wo er auf Wache gestanden hatte.
»Ist Brüstchen von Signora Möller?« fragte er.
»Du scheinst merkwürdige Größenbegriffe zu haben, Ricco.« Beatrice stupste ihn mit dem Zeigefinger auf die Nase. »Im übrigen ist das ein kriminalistisches Geheimnis.«
»Ich weiß alles!« sagte Riccardo und lächelte breit. »Mehr als ihr …«
Beatrice wurde stutzig. Was wußte Riccardo wirklich? Ein Kabinensteward hört und sieht vieles und schweigt. Wem es gelingen sollte, einen langjährigen Kabinensteward zu interviewen, der würde hinterher ergriffen auf seinem Stuhl hocken und nach einer Flasche Wodka rufen. Die Seefahrt aus dem Blickwinkel eines Kabinenstewards – das haut einen um … deshalb wurde auch Beatrice hellhörig, als Riccardo behauptete, er wisse mehr als andere.
»Was weißt du, Ricco?« fragte sie und schubste Riccardo in die Kabine, schloß hinter sich die Tür und lehnte sich dagegen. »Los, raus mit der Sprache!«
»Ist kriminalistisches Geheimnis«, grinste Riccardo. »Wie bei dir.«
»Du willst nichts sagen?«
»Nein. Riccardo ist ein stummer Computer.« Er tippte an seine Stirn. »Hier alles drin, für immer. Kann keiner ran.«
»Ich könnte auch Victor rufen.«
»Nutzt nix.«
»Herrn Losse …«
»Nutzt nix.«
»Den Kapitän, Riccardo!«
»Kommt nicht zu mir wegen dummem Quatsch.«
»Irrtum, Riccardo. Der Alte käme sofort, wenn ich ihm Meldung mache. Was du angeblich weißt, ist auch seine Sache. Also los, was weißt du?«
»Nur vor Kapitän …«
»Das kannst du haben.«
Sie ging zum Telefon, hob den Hörer ab, aber bevor sie die Nummer des Kapitäns wählen konnte, drückte Riccardo die Gabel herunter. Erschrocken sah er, daß es Beatrice ernst meinte.
»Ich nicht möchte Schwierigkeiten haben, Beatrice …«, sagte er. »Ich will nicht Kündigung von Reederei.«
»Dann mach den Mund auf. Was ist mit den Möllers los?«
»Er, Signore Möller, sehr dick.«
»Das ist ja kein Geheimnis, Riccardo.«
»Wenn Signore Möller kommt aus Restaurant und gut gegessen, er ist immer müde. Dann noch Konzert oder Tanzen … nein. Geht lieber ins Bett, liest oder hat Bordfernsehen an.«
»Und Frau Möller?«
»Geht in Konzert und tanzt und sitzt in Bar. Kollege von Nachtdienst sagt, wird manchmal drei Uhr morgens, bis sie zurückkommt in Kabine. Manchmal bringt Kavalier sie bis vor die Kabinentür.«
»Wer?«
»Immer verschiedene … manchmal Abschied mit Küßchen … Hat Kollege gesehen.«
»Und dann?«
»Sie geht in Kabine und Tür zu. Signore Möller schläft längst und merkt es nicht.«
»Und das geht so jede Nacht?«
»Fast jede Nacht. Bei Gala-Büfett nicht, da hat Signore Möller durchgehalten bis zum Mitternachts-Büfett und hat dann in Kabine noch gesungen: Im Wald und auf der Heide, da such ich meine Freude, da
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