Der Klang Deiner Gedanken
Mutters Hochzeitskleid heraus. „Ausgezeichnet. Ich kann dir etwas Moderneres daraus schneidern, trotz der Seidenknappheit. Wie großzügig von dir, Mary, dein Kleid zur Verfügung zu stellen. Hier, Allie, zieh es doch mal an, ja?“
Allie ging in die Umkleidekabine, nahm den flaschengrünen Hut ab und zog das darauf abgestimmte Kleid aus.
„Ich freue mich ja so auf diese Hochzeit, Agatha. Schon seit fünf Jahren träume ich davon. Baxter ist jetzt schon wie unser eigenes Kind. Allie soll das hübscheste Kleid haben, das es in Riverside je gab, Seidenknappheit hin oder her. Ich stecke meine Tochter doch nicht in die Mode von gestern, nur weil ich die Zeit damals mochte.“
Allie sah sich im Spiegel an. Ihr ganzes Leben lang hatte sie das Foto von der Hochzeit ihrer Eltern 1918 auf dem Kaminsims stehen. Und jetzt trug sie das Kleid. Es würde umgeändert und am 3. Juli würde man ein Foto von ihr und Baxter machen. Und dann würde dieses Foto für den Rest ihres Lebens auf ihrem Kaminsims stehen.
Ihr wurde übel. Sie ließ sich auf den kleinen Hocker plumpsen und hielt ihre Wange so lange gegen die kühle Wand, bis es besser wurde. Seit sie denken konnte, hatte sie immer um die Anerkennung ihrer Mutter gekämpft. Und jetzt, wo sie sie bekam, stellte sie sie nicht zufrieden. Wieso nicht?
Oh Herr, bitte hilf mir! Du hast Mutter gehört. Sie ist so glücklich. Und dein Wort sagt, ich soll meine Eltern ehren.
Vor ihrem inneren Auge sah sie Walt zwischen den Erdbeerpflanzen, wie er auf das Haus seiner Großeltern blickte und ihr die Hand entgegenstreckte. „Klar, wir sollen unsere Eltern ehren. Aber Gott zuerst. “
„Allie, bist du so weit?“, rief ihre Mutter.
Allie stand auf und atmete tief durch. „Ja, ich bin so weit.“
Mutter und Miss Sinclair machten sich mit Maßband und Abstecknadeln über sie her.
„Der lange Kragen muss weg.“
„Ja, und ich mache die Korsage noch etwas enger. Vielleicht mit einem Herz-Ausschnitt?“
„Das wäre schön. Und was ist mit den Ärmeln?“
„Kürzer. Und Puffärmel. Der Rock wird der schwierigere Teil.“
„Er ist viel zu eng.“
„Ja, aber ich habe noch jede Menge Spitze vorrätig. Ich mache ein paar Einsätze daraus. Das wird der letzte Schrei.“
Allie stieg auf ein kleines Podest und wieder herunter, hob die Arme, drehte sich, stand still, und versuchte die ganze Zeit, nicht in den Spiegel zu sehen.
„Für eine Braut wirkt sie aber recht niedergeschlagen“, flüsterte Miss Montclair.
Allie wich dem Blick ihrer Mutter aus.
„Ein Bekannter von ihr ist in Frankreich gefallen“, flüsterte Mutter zurück. „Hat sie ziemlich mitgenommen.“
„So, für heute sind wir fertig.“ Miss Montclair legte Allie eine Hand auf die Schulter. „Ja, die Zeiten sind nicht leicht, Liebes.“
Mit so viel Anteilnahme in Miss Montclairs grauen Augen hatte Allie nicht gerechnet. Sie verschwand schnell in der Umkleide, bevor die Tränen kamen. Schwere Zeiten? Ja, für Walt und Eileen Kilpatrick und Helen Carlisle. Sie selbst war doch nur indirekt betroffen.
Auf sie kam doch eine Hochzeit zu! Sie sollte glücklich sein. Warum hatte sie dann Betty noch nichts davon erzählt? Und Walt? Das Datum stand fest, die St. Timothy’s war beschlossene Sache, der Saal im Mission Inn gebucht, und das Hochzeitskleid ihrer Mutter war drauf und dran, in Stücke geschnitten zu werden. Es war an der Zeit, es zu verkünden.
„Die arme Agatha“, seufzte Allies Mutter, als sie die Orange Street hinaufschlenderten.
Allie wandte sich ab und sah in Richtung der alten Post, die inzwischen von der 4. US-Luftflotte genutzt wurde. Sie war für den Schutz des südwestlichen Luftraums über den Vereinigten Staaten verantwortlich. Ein Captain in Ausgehuniform eilte die breiten Stufen des italienischen Renaissancebaus hinab und grüßte höflich. Vielleicht würde er Mutter von Agathas Geschichte ablenken. Allie hatte sie schon viel zu oft gehört.
„Guten Tag“, sagten Mutter und Tochter gleichzeitig. Allie schickte ein kleines Gebet für Walt nach oben, wie jedes Mal, wenn sie einen Soldaten in Uniform sah.
Mutter seufzte wieder. „Die arme Agatha war nie so richtig hübsch. Als wir nach unserer Hochzeit nach Riverside zogen, war sie gerade mit der Schule fertig. Aber auch damals war sie ein hässliches Entlein.“
Sie überquerten die Orange Street. Der Ton ihrer Mutter ließ Allie erschaudern. Bei ihr klang es so, als wäre weniger gutes Aussehen ein Charakterfehler.
„Ich
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