Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
viel ist sicher. Sonst war nicht viel Verwandtschaft dort, nur ein paar Leute von einem amerikanischen Zweig der Familie aus New York. Also niemand, der Raoul als Kind gekannt hatte und Parallelen ziehen konnte. Ruth und Leonard sind offenbar nach dem Zweiten Weltkrieg nach Schweden gekommen. Sie gehörten zu den wenigen Überlebenden ihrer Familien. So ist es, furchtbar und ungerecht. Wer weiß, was sie alles erlebt haben, und dann stirbt ihr Sohn auch noch vor ihnen. Leonard ist in Prag zur Welt gekommen und Ruth österreichisch-ungarisch-irgendwas-serbischer Abstammung. Davon gibt es unzählige Varianten. Beide sprechen Jiddisch.«
»Raoul hatte keine Geschwister. Wie sieht es mit Cousinen und Cousins aus?«
»Soweit ich weiß, keine. Es waren jüdische Freunde da und vor allen Dingen sehr viele Musiker. Ich habe in der Tat etliche Stars ausgemacht. Viele der Damen waren sicher auch Verflossene. Alle vergossen viele Tränen.«
»Unser Raoul Liebeskind wurde von vielen geliebt.«
»Aber niemand trauerte wie Caroline.«
Ebba sah ihn erwartungsvoll an. »Erzähl! Wie war es? Hat sie wirklich gespielt?«
»O ja«, antwortete Pontus und lächelte traurig. »Diesen Anblick werde ich nie vergessen.«
»Hoppla«, meinte Ebba und erwiderte sein Lächeln. »Jetzt will ich aber alles ganz genau wissen.«
»Caroline schritt mit ihrem Cello nach vorne, und einer von der Chewra stellte ihr diskret einen Stuhl hin. Joy kochte vor Wut, konnte aber schlecht aufstehen und ihre Rivalin niederschlagen. Dann spielte Caroline unbeschreiblich schön. Die Tränen liefen ihr über die Wangen, als die Celloklänge die Kapelle erfüllten. Ergreifend und herzzerreißend zugleich. Die gesamte Trauergesellschaft war wie gebannt. Nachdem sie geendet hatte, erhob sie sich, ging zum Sarg und blieb dort mit gesenktem Kopf stehen. Dann schlug sie den schwarzen Überwurf beiseite, beugte sich vor und küsste die rauen Bretter des Sargs, bevor sie stolz und gefasst die Kapelle verließ. Eine Solistin bis in die Fingerspitzen.«
»Ja, das hätte Raoul gefallen. Genau so hätte er wohl begraben werden wollen, mit einem Kuss Carolines im Gesicht.«
»Oder sie küsste ihm die Füße. Das werden wir nie erfahren.«
»W ie reagierten Leonard und Ruth?«
»Sie vergötterten sie.«
Er legte unvermittelt seine Hand auf ihre und drückte sie. Seine Hand war warm. Ihr stockte der Atem, bis er sie wieder wegnahm. Ebba war gezwungen zu schlucken, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden.
»Und die Stimmung unter den Schwestern?«, fuhr sie fort und versuchte ungerührt zu wirken.
»T ja«, meinte Pontus, »in Anbetracht der Umstände gut. Helena hatte Caroline bereits von David erzählt, das waren also keine Neuigkeiten für sie. So viel war offensichtlich.«
»W as du nicht sagst?«, erwiderte Ebba. »Dacht ich’s mir doch.«
»W orauf willst du hinaus?«
»Am Mordabend geht Helena ins Atelier, um Raoul von dem Kind zu erzählen. Dann erscheint Caroline. Sie gerät außer sich, weil Helena dort ist. Sie hat schließlich gerade erfahren, dass ihre große Schwester eine Affäre mit Raoul hatte. Ich glaube, dass sie zu diesem Zeitpunkt die Fortsetzung erfährt, nämlich, dass sie auch ein Kind zusammen haben. Vielleicht hält er ja das Foto in der Hand. Der kleine David ist acht und kann unmöglich gezeugt worden sein, als Raoul und Helena laut Raoul ihren One-Night-Stand hatten. Caroline zwingt sie, ihr die ganze Wahrheit zu sagen.«
»Sie erfährt, dass Helena und Raoul über zwanzig Jahre lang eine Affäre hatten und dass David ihr Sohn ist«, sagte Pontus.
»Jetzt wissen wir auch, warum sie so wahnsinnig verzweifelt war. Und warum sie zuerst nicht mit Helena sprechen wollte. Sie glaubt, dass sie Davids Vater mit den Spritzen getötet hat. Noch jemand, dessentwegen sie ein schlechtes Gewissen haben muss. Zu allem Überfluss ist Helena irritierend verständnisvoll und tut alles, um ihr beizustehen.«
»Es ist also nicht Caroline, die Raouls erstem Kind das Leben schenkt.«
»Raoul wusste bis dahin schließlich auch nicht, dass David sein Kind war.«
»V ermutlich ging Caroline auch deswegen ins Haus, um ihre Sachen zu packen und weiter mit Raoul zu verhandeln.«
»V erändert das etwas?«
»Ja und nein«, antwortete Ebba. »W enn wir das von Anfang an gewusst hätten, dann wäre uns Caroline vielleicht verdächtiger vorgekommen. Helena versuchte so lange wie möglich, die Wahrheit geheim zu halten.«
»Sie tat es, um ihre Schwester zu
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