Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
sie sich ob dieser Unzulässigkeit angespannt und den Impuls unterdrücken müssen, ihn beiseitezuschlagen. Dass er seinen Bogen aufs Spiel setzte, war sein Problem, aber sie würde es trotzdem nie wagen, ihn zu beschädigen, da er vermutlich mehr wert war als ihr eigenes Cello. Sie war sich sicher, dass er das eiskalt einkalkuliert hatte. Seine scheinbar beiläufige Geste geriet so zu einer weiteren Kränkung.
»Spiel die ganze Phrase noch mal, dann verstehst du, was ich meine.«
Mit zusammengekniffenen Lippen spielte sie die Partie ein weiteres Mal. Sie übertrieb die Bewegungen ein wenig und starrte ihn an, nachdem sie fertig war.
»Zufrieden?« Wütend strich sie sich eine Locke aus der Stirn.
Raoul betrachtete sie. »Du musst das noch etwas üben. Aber wenn du groß bist, kannst du’s dann.«
Louise mischte sich ein, noch ehe Caroline antworten konnte. »Jetzt machen wir weiter. Das klingt wunderbar, Caroline. Wunderbar!«
Raoul gab den Takt vor, und sie spielten den Satz zu Ende. Die Unterbrechung hatte Helena abgelenkt, und erleichtert stellte sie fest, dass sich endlich eine gewisse Ruhe in ihr ausbreitete. Endlich hatte sie ihre Atmung wieder im Griff, sie atmete gleichmäßig und ohne zu zittern. So schlimm wie befürchtet war es nicht gewesen. Sie war im Großen und Ganzen recht zufrieden mit ihrer Leistung. Nach einer anfänglichen Unsicherheit war ihr Spiel ganz anständig gewesen.
Als sie sich dem kritischen Abschnitt zum zweiten Mal näherten, beugte sich Raoul über seinen Notenständer und sah Caroline an.
»Jetzt hast du eine weitere Chance«, flüsterte er ihr theatralisch zu und sah sie durchdringend an. Aber Caroline starrte nur mit zusammengekniffenen Augen auf ihre Noten. Ihr einer Augenwinkel zuckte leicht. Louise überwachte konzentriert und angespannt das Spiel. Ab und zu machte sie sich kurze Notizen auf einem Block, den sie mit ihrer bandagierten Linken mühsam festhielt. Sobald die letzten Töne verklungen waren, legte Caroline ihre Schumann-Noten auf den Notenständer und begann zu üben, als befände sich außer ihr niemand im Raum.
Louise stand an einem Fenster im großen Salon und schaute übers Meer, als Raoul eintrat.
»Gieß mir bitte ein Glas Lagavulin ein«, sagte sie und nahm auf einem grau-weiß gestreiften Rokokosofa Platz. Die Füße legte sie auf einen gepolsterten Hocker und ließ ihre bandagierte Hand wie ein Baby auf dem Schoß ruhen. Raoul trat an den Barschrank und goss Whisky in zwei schwere Gläser aus böhmischem Kristall.
»Diktator«, murmelte er amüsiert. »Das war neu.«
Mit einem Glas in jeder Hand ließ er sich neben seiner alten Freundin auf das Sofa fallen. Sie lehnten ihre Köpfe aneinander.
»Es tut mir leid, dass Caroline so aus der Rolle gefallen ist«, sagte Louise und trank.
»Kein Problem. Caroline ist eine unglaublich gute Musikerin. Es ist ein Vergnügen, mit ihr zu spielen. Aber sie muss noch an ihrem Talent arbeiten, davon könnte sie sehr profitieren.« Er klang unbekümmert, aber nicht wirklich entspannt. »Sie ist sehr begabt, Louise. Wirklich. Gratuliere.«
Louise lächelte stolz. »Du ahnst gar nicht, wie begabt sie ist.« Sie konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken, und Raoul lachte einen Augenblick mit. Dann sah er sie mit einem herzlichen Blick von der Seite an. Louise zog die Brauen hoch. Ihre eigenen Gedanken über Caroline rührten sie.
»Natürlich habe ich mir Sorgen gemacht, als sie sich gleich zu Beginn querstellen musste. Sie ist im Augenblick etwas schwierig. Das ist sie manchmal, wenn sie das Gefühl hat, unter Druck zu stehen. Sie hat bald mit Schumanns Cellokonzert ihr Debüt in London, und ich weiß, dass sie das sehr nervös macht. Außerdem hat sie ja noch nie mit dir zusammen gespielt. Ihr kennt euch ja eigentlich nicht, und ich glaube in der Tat, dass sie Angst hat, nicht gut genug zu sein. Aber das geht vorbei, wenn ihr euch erst einmal näherkommt.«
»Und wie nahe?« Mit einem verschmitzten Lächeln schaute Raoul in den Whisky, den er in seinem Glas kreisen ließ.
Louise spielte die Bestürzte, packte ihn am Pulloverkragen und zog diesen wie eine Schlinge zusammen. »Untersteh dich!« Dann ließ sie los und kitzelte ihn schwesterlich-übermütig.
Raoul bog sich vor Lachen. »Hör auf!«, keuchte er und schob Louises Linke vorsichtig beiseite, um nicht an ihren Verband zu kommen. Sie wurde wieder ernst.
»V ersprich mir, dass ihr richtig gute Freunde werdet. Das bedeutet alles für mich. Du bist
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