Der kleine Bruder: Der kleine Bruder
laß mal«, sagte Frank, »ich muß erst mal rauchen, ich kann das noch nicht gleichzeitig, rauchen und Leute tragen.«
»Aber ich, oder was?« sagte Karl und fummelte einhändig in seinen Taschen nach Feuer. »Ich kann das, oder wie?«
»Ja«, sagte Frank nach kurzem Nachdenken und hielt seine Zigarette in die von Karl dargebotene Flamme. »Ich glaube schon. Du bist eher der Typ für sowas.«
»Weiß nicht, ob das ein Kompliment ist«, sagte Karl.
»Irgendwie schon«, sagte Frank. »Freddie konnte das früher auch immer, der konnte immer drei, vier Sachen auf einmal!«
»Freddie, soso«, sagte Karl. »Der fehlt dir wohl schon ziemlich, oder?«
»Naja, geht so«, sagte Frank. Dann bekam er Rauch in die Augen, und er mußte sie sich auswischen, und er wollte auf keinen Fall, daß der andere das jetzt falsch verstand.
»Hab Rauch im Auge«, erklärte er. »Bloß Rauch im Auge!«
»Ja klar«, sagte Karl, »hab ich auch manchmal. Laß uns mal weitergehen, für Rauch in den Augen ist später noch Zeit.«
9. PUNKBEHÖRDE
»Wenn wir da reingehen, dann können wir das nicht bringen, das geht da nicht.«
»Wieso nicht«, sagte Frank, »bei dem anderen Laden ging das doch auch!«
»Das ist was anderes, im Krahl-Eck sind ja nur alte Leute, die kennen das noch vom Krieg«, sagte Kar!. »Die sind doch alle so verpeilt, die armen alten Süffel da, die denken doch höchstens, das ist so ‘n Maueropfer oder was, über sowas regen die sich doch nicht mehr auf, aber in dem scheiß Punkladen hier ist mir das peinlich, das kommt so pathetisch rüber, wenn man da mit so einem Punk wie mit ‘nem Sack Kartoffeln über der Schulter reinkommt, das fällt da nur unangenehm auf.«
»Warum gehen wir dann da rein?«
»Weil das der Laden hier jetzt ist, und weil ich jetzt mal nicht immer nur arbeiten, sondern auch mal ein Bier trinken will, und die Punks da drin sind doch sowieso alle Hippies, denen ist doch alles scheißegal, nur sollten wir ihn nicht gerade über der Schulter tragen, dann fällt das irgendwie auf, wir nehmen ihn einfach so zwischen uns und schleppen ihn unauffällig da rein und setzen ihn irgendwo hin und trinken erstmal ein Bier, sonst bringt das doch alles nichts.«
Frank fragte sich, wie spät es jetzt sein mochte, zwei, drei Uhr, er hatte kein Zeitgefühl mehr, und eine öffentliche Uhr, etwas, was es in dieser Stadt, das war ihm schon aufgefallen, öfter gab, so als ob die Leute sich keine Armbanduhren leisten konnten oder keine wollten oder was wußte er denn, man darf sich von solchen Fragen jetzt nicht ablenken lassen, dachte er, war nirgends zu sehen. Er sagte: »Was bringt sonst alles nichts? Ich kapier das jetzt irgendwie nicht!«
»Da gibt’s auch nichts zu kapieren, das muß man einfach mal so hinnehmen, das gilt für mich genauso wie für dich, oder glaubst du etwa, ich finde das gut?« sagte Karl.
»Du findest was gut?«
»Ja, das muß man sich doch auch mal fragen«, sagte Karl und ließ Martin Bosbach, den Dr.-Votz-Bassisten oder, besser gesagt, den wahrscheinlich ehemaligen Dr.-Votz-Bassisten, vorsichtig von der Schulter gleiten, bis er auf den Füßen stand, gelenkig schwankend allerdings; Karl hielt ihn notdürftig an den Oberarmen hoch, und Martin schmiegte sich immer mehr und immer gelenkiger schwankend an ihn an, »verdammt, das ist anstrengend«, sagte Karl, »kannst du mal helfen oder bist du nur zum Zugucken dabei?«
Frank nahm Martins linken Arm und legte ihn sich um die Schultern. Karl tat dasselbe mit dem rechten Arm, und gemeinsam traten sie mit ihm durch die Tür in die Kneipe.
»Hallihallo«, schrie Karl, als sie den Raum betraten, aber die Musik war so brüllend laut, daß ihn wahrscheinlich keiner hörte. Einige Punks, die direkt dem Eingang gegenüber am Tresen saßen, glotzten sie an, sei es, weil sie sich wunderten, sei es, weil sie sowieso gerade in diese Richtung glotzten, das war für Frank nicht auszumachen, es war ganz ähnlich wie bei den alten Leuten im Krahl-Eck, aber als sie auf Karls Veranlassung hin nach rechts abbogen, um sich an einen Tisch in der Ecke zu setzen, folgten ihnen ihre Blicke, und als sie Martin, den Dr.-
Votz-Bassisten, auf der Bank abluden, ruhten ihre Blicke noch immer auf ihnen. Kar! setzte sich neben Martin und winkte ihnen zu. Auch Frank setzte sich.
»Nix«, schrie Kar!, »einer muß mal eben Bier holen. Hier ist Selbstbedienung!«
Frank stand auf und ging zum Tresen, noch immer unter den wachsamen Augen der dort sitzenden Punks;
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