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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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die aus dem Sommer vor zwei Jahren stammten, als Hely und Harriet und Dick Pillow, der jetzt in Camp de Selby war, sich über mehrere Tage hinweg damit amüsiert hatten, schlammige Tennisbälle dagegen zu werfen.
    Harriet gab keine Antwort. Sie war so still, dass es ihn beklommen machte. In seiner Aufregung sprang er auf und fing an, hin und her zu gehen.
    Die Zeit verging, und sie schien sich durch sein fachmännisches Auf- und Abgehen immer noch nicht beeindrucken zu lassen. Ein leichter Wind kräuselte die Oberfläche der Pfütze in einer Reifenspur im Schlamm.
    Voller Unbehagen, denn er hatte Angst, sie zu ärgern, brannte aber auch darauf, sie zum Reden zu bringen, gab er ihr einen Stoß mit dem Ellenbogen. »Na los«, sagte er aufmunternd. »Hat er dir was getan?«
    »Nein.«
    »Würde ich ihm auch nicht raten. Sonst trete ich ihm in den Arsch.«
    Die Kiefern, Weihrauchkiefern großenteils, Abfallholz, das zum Bauen nichts taugte, standen erstickend dicht. Ihre rote Rinde war zottig und schälte sich in großen roten und silbrigen Placken wie Schlangenhaut von den Stämmen. Hinter dem Lagerhaus schwirrten Grillen im hohen Gras.
    »Komm schon.« Hely sprang auf und attackierte die Luft mit einem Karatehieb, ließ einen meisterlichen Tritt folgen. »Du kannst es mir erzählen.«
    In der Nähe zirpte eine Heuschrecke. Hely spähte mitten im Schlag in die Höhe. Heuschrecken bedeuteten, dass sich ein Gewitter zusammenbraute, dass Regen unterwegs war, aber durch das schwarze Gestrüpp der Äste brannte der Himmel noch immer in einem klaren, erdrückenden Blau.
    Er vollführte noch zwei Karateschläge, begleitet von einem leisen Doppelgrunzen – ha, ha  –, aber Harriet schaute nicht einmal hin.
    »Was hast du denn?«, fragte er aggressiv und schleuderte sich die langen Haare aus der Stirn. Ihre gedankenverlorene Art erweckte allmählich eine seltsame Panik in ihm, und er begann zu befürchten, sie könnte irgendeinen geheimen Plan entwickelt haben, der ihn nicht einschloss.
    Sie blickte zu ihm auf, und zwar so schnell, dass er einen Moment lang glaubte, sie werde aufspringen und ihm einen Arschtritt verpassen. Aber sie sagte nur: »Ich dachte gerade an den Herbst, als ich in der zweiten Klasse war. Da hab ich im Garten ein Grab gegraben.«
    »Ein Grab?« Hely war skeptisch. Zu Hause im Garten hatte er schon jede Menge Löcher zu graben versucht (unterirdische Bunker, einen Tunnel nach China), aber er war nie mehr als ungefähr einen halben Meter tief gekommen. »Und wie bist du rein- und rausgeklettert?«
    »Es war nicht tief. Nur«, sie hielt die Hände dreißig Zentimeter weit auseinander, »ungefähr so. Und lang genug, dass ich drin liegen konnte.«
    »Warum machst du denn so was? Hey, Harriet!«, rief er plötzlich, denn auf der Erde hatte er soeben einen gigantischen Käfer mit Zangen und Hörnern entdeckt, fünf Zentimeter lang. »Sieh dir das an! Mann! Das ist der größte Käfer, den ich je gesehen hab!«
    Harriet beugte sich vor und schaute ihn ohne Neugier an. »Ja, nicht schlecht«, sagte sie. »Na, jedenfalls, weißt du noch, wie ich mit Bronchitis im Krankenhaus war? Und die Halloween-Party in der Schule verpasst hab?«
    »O ja.« Hely wandte den Blick von dem Käfer ab und unterdrückte mit Mühe den Drang, ihn aufzuheben und daran herumzufummeln.
    »Deswegen bin ich krank geworden. Der Boden war echt kalt. Ich hatte mich mit trockenem Laub zugedeckt und blieb da liegen, bis es dunkel wurde und Ida mich reinrief.«
    »Weißt du was?« Hely hatte nicht widerstehen können und streckte den Fuß aus, um den Käfer mit der Schuhspitze anzustoßen. »Da ist so’ne Frau in einem meiner Comics, die hat ein Telefon im Grab. Da rufst du an, und dann klingelt’s unter der Erde. Ist das nicht irre?« Er setzte sich neben sie. »Hey, was hältst du davon? Hör zu, das ist super. Sagen wir, Mrs. Bohannon hätte ein Telefon in ihrem Sarg, und sie ruft mitten in der Nacht an und sagt: Ich will meine goldene Perücke haben. Gebt mir meine goooldene Perücke wieder... «
    »Lass das lieber«, sagte Harriet scharf, als sie sah, wie seine Hand verstohlen auf sie zugekrochen kam. Mrs. Bohannon, die Kirchenorganistin, war im Januar nach langer Krankheit gestorben. »Außerdem haben sie Mrs. Bohannon mit ihrer Perücke begraben.«
    »Woher weißt du das?«
    »Hat Ida erzählt. Ihre echten Haare sind vom Krebs ausgefallen.«
    Eine Weile saßen sie schweigend da. Hely sah sich nach dem Riesenkäfer um, aber der war

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