Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Lastwagenladungen Sand herangeschafft werden, damit die Häuser im Frühling nicht wegschwammen, und nichts hinderte Schildkröten und Schlangen daran, so weit landeinwärts zu kriechen, wie sie wollten.
    Und Oak Lawn Estates war verseucht von Schlangen – großen und kleinen, giftigen und ungiftigen, Schlangen, die Schlamm liebten, Schlangen, die Wasser liebten, Schlangen, die gern auf trockenen Steinen in der Sonne badeten. An heißen Tagen stieg der Schlangengestank vom Boden auf, genau wie das trübe Wasser in den Fußspuren, die man auf der planierten Erde hinterließ. Ida Rhew verglich den Geruch des Schlangenmoschus mit Fischdärmen, mit den Innereien von Büffelkarpfen und Catfischen, Aasfressern, die sich von Abfällen ernährten. Und Edie sagte, wenn sie ein Loch für eine Azalee oder einen Rosenstrauch grub, vor allem in den Pflanzbeeten im Garden Club am Interstate Highway, dann wusste sie immer, dass ihr Spaten in die Nähe eines Schlangennests geraten war, wenn ihr ein Hauch von verfaulten Kartoffeln in die Nase stieg. Harriet hatte auch schon oft Schlangengestank gerochen, am stärksten im Reptilienhaus im Zoo von Memphis und von verängstigten Schlangen, eingesperrt in großen Gläsern für den Naturkundeunterricht, aber auch, wenn er beißend und rauchig von trüben Bachböschungen und flachen
Tümpeln wehte, aus Bachdurchlässen und von dampfenden Schlammteichen im August und – hin und wieder, bei sehr heißem Wetter, wenn es geregnet hatte – auch zu Hause im eigenen Garten.
    Harriets Jeans und ihr langärmeliges Hemd waren durchgeschwitzt. Weil es in dieser Vorortsiedlung und in dem Sumpf dahinter kaum Bäume gab, hatte sie einen Strohhut aufgesetzt, um keinen Sonnenstich zu bekommen, aber die Sonne brannte weiß und wütend herab wie der Zorn Gottes. Sie war matt vor Hitze und Bangigkeit. Den ganzen Vormittag über hatte sie ihre stoische Fassade bewahrt, während Hely, der für einen Hut zu stolz war und deshalb die ersten Ansätze eines blasigen Sonnenbrandes erkennen ließ, umherhüpfte und unablässig von einem James-Bond-Film plapperte, in dem es um Drogenringe und Wahrsager und tödliche Giftschlangen gegangen war. Auf der Fahrt mit dem Fahrrad hierher hatte er sie mit seinem Gesabbel schon zu Tode gelangweilt; da war es um den Stuntfahrer Evel Knievel und um einen Samstagscartoon namens Wheelie und die Chopper-Bande gegangen.
    »Das hättest du sehen sollen«, sagte er gerade und harkte mit aufgeregt wiederholter Gebärde die tropfenden Haarsträhnen zurück, die ihm ins Gesicht fielen... »Oh, Mann. James Bond, der hat diese Schlange glattweg verbrannt. Er hat ’ne Sprühdose mit Deo oder so was, ja? Und als er die Schlange im Spiegel sieht, da wirbelt er rum, so ungefähr, und hält seine Zigarre an die Sprühdose, und pau! – das Feuer schießt quer durch das Zimmer  – pffff...«
    Er taumelte rückwärts und prustete durch die Lippen, während Harriet die dösende Kupferkopfschlange betrachtete und überlegte, wie sie jetzt vorgehen sollten. Ihre Jagdausrüstung bestand aus Helys Luftgewehr, zwei angespitzten, gegabelten Stöcken, einem Naturführer über Reptilien und Amphibien der südöstlichen Vereinigten Staaten, Chesters Gartenhandschuhen, einer Aderpresse, einem Taschenmesser und Kleingeld für einen Telefonanruf für den Fall, dass einer von ihnen gebissen wurde, und einer alten blechernen Lunchbox von Allison (Campus Queen, mit pferdeschwanztragenden Cheerleadern
und kessen Schönheitsköniginnen mit Diademen), in deren Deckel Harriet unter großen Mühen mit dem Schraubenzieher ein paar Luftlöcher gebohrt hatte. Der Plan war, sich an die Schlange heranzuschleichen, vorzugsweise nachdem sie zugestoßen hatte und ehe sie sich wieder sammeln konnte, und sie mit dem Gabelstock festzunageln. Dann würden sie sie dicht hinter dem Kopf packen (sehr dicht, damit sie nicht herumfahren und zubeißen konnte), sie in die Lunchbox werfen und den Deckel mit der Schnalle verschließen.
    Aber das alles war leichter gesagt als getan. Bei den ersten Schlangen, die sie gefunden hatten – drei junge Kupferköpfe, die sich zusammen auf einer Betonplatte hatten rösten lassen  –, hatten sie Angst gehabt, näher heranzugehen. Hely warf einen Ziegelsteinbrocken zwischen sie. Zwei schossen in verschiedene Richtungen davon, die dritte geriet in Wut und fing an zuzustoßen, flach über dem Boden, immer wieder – gegen den Ziegelstein, in die Luft, gegen alles, was ihre Aufmerksamkeit