Der kleine Nadomir
brummte und warf den Kopf zur Seite. Speichel tropfte über seine welke Wange. Für kurze Zeit öffnete er ein Auge und starrte Sadagar an.
»Beim Kleinen Nadomir«, flüsterte der Steinmann. »Ich habe es geschafft. Er erwacht! Ich danke dir, Kleiner Nadomir!«
»Ich nehme deinen Dank gern an!«
Sadagar zuckte zusammen und wandte den Kopf schnell nach links, woher die Stimme gekommen war. Doch er sah nur ein paar Fellbündel im düsteren Schein der Lampen. Ich muss mich wohl getäuscht haben, dachte er.
Chwum hob langsam den Kopf, dann räusperte er sich. »Wasser!« hauchte er fast unhörbar.
Rasch griff Sadagar nach dem Wasserkrug neben dem Lager des Schamanen und ließ ihn ein paar Schlucke trinken. Ermattet schloss Chwum wieder die Augen und murmelte unverständliche Worte.
Als sich Sadagar setzte, sah er aus den Augenwinkeln eine Bewegung. Ein Fellbündel bewegte sich auf ihn zu. Ungläubig riss er die Augen auf, als daraus ein Kopf zum Vorschein kam. Ein Kopf mit einer gewaltigen Mähne aus borstigem, sich zu blätterförmigen Strähnen formendem Haar. Das Gesicht nahm sich in diesem Kugelkopf winzig klein aus: Es war so groß wie die Handfläche eines Zehnjährigen. Der unverhältnismäßig breite Mund mit den fleischigen Lippen war zahnlos.
Sadagar dagegen war sprachlos. Sein Mund stand weit offen. Das seltsame Geschöpf bewegte sich langsam. Es war etwa drei Fuß groß und mit einem dichten Pelz bekleidet, der seiner ganzen Gestalt eine Kugelform verlieh.
»Wer bist du?« fragte er stotternd.
»Du hast mir eben gedankt«, sagte das Geschöpf mit undeutlicher Stimme. »Ich bin Nadomir, aber nicht der Kleine Nadomir, wie du mich nennst, sondern der Schöne Nadomir!«
Einen Augenblick glaubte Sadagar, den Verstand zu verlieren. Oft schon hatte er den Kleinen Nadomir angerufen, einen Geist, den er nur zur Täuschung anderer Leute erfunden hatte. Es war ihm zur festen Gewohnheit geworden, ihn anzurufen, doch niemals hätte er geglaubt, dass es ihn tatsächlich gab. Und nun stand er wirklich vor ihm.
»Dich gibt es tatsächlich«, keuchte er mit versagender Stimme. »Ich kann es noch immer nicht glauben.«
»Ich bin ein Troll«, sagte der Kleine. »Unter den Karsh-Völkern bekannt als der Kleine oder auch der Schöne Troll.«
Sadagar hatte sich etwas von seiner Überraschung erholt. Klein war der Troll, aber als schön konnte man ihn beim besten Willen nicht bezeichnen.
»Einige der Stämme«, sprach der Gnom weiter, »verehren mich, andere huldigen dem Großen Alb, der mein größter Feind ist. Ich werde dir helfen, Sadagar. Du musst mir vertrauen...«
In diesem Augenblick setzte sich Chwum auf und stieß einen durchdringenden Schrei aus.
»Der Große Alb«, brüllte er, »der Große Alb stehe mir bei!«
»Du musst verschwinden, Nadomir«, sagte Sadagar heftig. »Jeden Augenblick können.«
Er hörte Olingas Aufschrei, und als er sich nach dem Gnomen umdrehte, war dieser bereits verschwunden.
»Nicht, Chwum!« schrie Olinga entsetzt.
Sadagar blickte zum Alten hin. Er war wie gelähmt. Der Schamane hielt in der rechten Hand ein scharfes, spitzes Feuersteinmesser, das er sich mit aller Kraft in die Brust stieß. Ein Zittern durchlief seinen Körper, dann sackte er leblos zusammen.
Olinga stieß Sadagar zur Seite und warf sich laut schluchzend über den Toten.
Sadagar saß noch immer erstarrt da. Seine Gedanken schossen hin und her wie Sternschnuppen, die er nicht festhalten konnte.
Jäger stürmten in das Zelt, schrien durcheinander und verstummten dann.
Olinga ließ den Toten los und drehte sich langsam Sadagar zu. Ihr Gesicht war plötzlich unmenschlich verzerrt.
»Du Mörder«, zischte sie. »Ich habe dich mit jemandem sprechen hören. Du und dein Geisterhelfer, ihr habt Chwum verhext, so dass er sich selbst tötete. Chwums Tod wird gerächt werden. Du und dein Gefährte werden sterben. Schafft ihn fort!«
Er wurde hochgerissen. Harte Fäuste schlugen auf ihn ein. Sein linkes Auge schloss sich, Blut tropfte aus seiner Nase, und seine Lippen sprangen auf. Verzweifelt versuchte er die Hiebe abzuwehren, hielt sich die Arme vors Gesicht und taumelte ins Freie. Ein paar Jäger verfolgten ihn und prügelten ihn quer durch das Lager. Schließlich brach er bewusstlos zusammen.
*
Olinga strich zärtlich mit beiden Händen über das Gesicht des Toten. Tränen rannen über ihre Wangen.
»Olinga.« Die Stimme schien weit fort zu sein. »Olinga, du musst dem Stamm den Tod verkünden.«
Sie
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