Der Knochenbrecher
wurden auch seine Depressionen. Sein Lohn als Supermarktangestellter war kaum hoch genug, um die Familie zu ernähren, und als ihm zwei Monate nachdem seine Frau krank geworden war, gekündigt wurde, standen sie vor dem Nichts.
Jessicas Mutter starb einen Tag nachdem die Ãrzte endlich herausgefunden hatten, dass sie an einem seltenen bösÂartigen Tumor litt.
Jessicas letzte unbeschwerte Erinnerung an ihre Mutter war jener Tag im Park, als sie zusammen dem alten Mann mit seiner Gitarre gelauscht hatten. Nach ihrem Tod stürzte sich Jessica ins Gitarrenspielen, als könnte sie mit ihren Klängen die Erinnerung am Leben erhalten. Sie hatte kein Geld für Unterrichtsstunden oder Notenhefte, verbrachte aber trotzdem jede freie Minute mit ihrem geliebten Instrument. Schon bald hatte sie ihren ganz eigenen Stil entwickelt, eine Kombination aus Fingerpicking und Klopfen, bei der sie jeden Klang auslotete, der sich dem Instrument entlocken lieÃ. So hatte man Gitarrenmusik noch nie gehört. Mit neunzehn bot ihr ein kleines unabhängiges Plattenlabel aus South Los Angeles einen Vertrag an. Mittlerweile hatte sie sechs Alben herausgebracht und war im Laufe der Jahre unzählige Male auf Konzerttournee gewesen. In der Jazz-Szene war Jessicas Name ein Begriff, jedoch entsprach ihre Musik zu wenig dem Mainstream, als dass sie auf den bekannteren Radiosendern gespielt worden wäre.
Bis der Chef ihrer Plattenfirma vor drei Jahren beschlossen hatte, sich auf das Wesentliche zurückzubesinnen und einige Musikvideos von Jessica aufzunehmen, wie sie ganz allein dasaà und Gitarre spielte â nur sie und ihr Instrument. Er lud die Clips auf YouTube hoch und spekulierte darauf, dass ihre Schönheit und ihre auÃergewöhnliche Begabung den Rest erledigen würden.
Jessica war auf eine schlichte Art atemberaubend. Sie war eins siebenundsechzig groà und hatte die grazile Figur einer Tänzerin, glatte schulterlange schwarze Haare, beÂtörende dunkelbraune Augen, volle Lippen und makellose Haut. Sie zog die Blicke auf sich, wo immer sie hinging.
Die Rechnung des Labelchefs ging auf, doch nicht einmal er hätte sich träumen lassen, dass Jessica ein derartig durchschlagender Erfolg beschieden sein würde. Durch Mundpropaganda und soziale Netzwerke schossen die Klickzahlen für Jessicas Videos in schwindelerregende Höhen. Allein im ersten Monat bekam sie weltweit über eine Million Klicks, so dass ihr Video auf der Startseite von YouTube als meistgesehener Clip gezeigt wurde. Mittlerweile verkaufte Jessica ebenso viele Alben auf CD oder als Download wie international berühmte Popgruppen.
Jessicas Aufmerksamkeit kehrte ins Hier und Jetzt zurück. Ein einzelner leerer Teller und eine halbleere Flasche Rotwein standen vor ihr auf dem kleinen gläsernen Couchtisch und erinnerten sie daran, dass sie allein gegessen hatte. Erst jetzt sickerte die Realität wieder zu ihr durch: Mark war fort. Und er würde auch nicht so bald zurückkommen.
Jessica und Mark hatten sich vor zwei Jahren im Catalina Jazz Club am Sunset Boulevard nach einem Konzert kennengelernt. Jessica hatte, umringt von Fans und Musikjournalisten, an der Bar gesessen und zufällig gesehen, wie sich ein junger Mann in der Nähe der Bühne herumdrückte. Er war groà und hatte starke, breite Schultern. Seine langen mitternachtsschwarzen Haare waren wie bei einem Wikinger zurückgebunden. Und doch war es nicht sein ÃuÃeres, das Jessicas Aufmerksamkeit erregte. Es war das Interesse, mit dem er ihre Gitarre betrachtete.
Sie entschuldigte sich bei ihrem Gefolge und ging zu ihm. Sie wollte unbedingt wissen, was er an ihrem Instrument so interessant fand. Sie unterhielten sich eine Zeitlang, und sie erfuhr, dass Mark ebenfalls Gitarrist war. Er hatte eine klassische Ausbildung genossen, aber danach Âeinen ganz anderen Weg eingeschlagen und eine eigene Hardrockband gegründet. Die Band hieà Dust, und sie hatte wenige Tage zuvor ihren ersten Plattenvertrag unterschrieben.
Die Unterhaltung ging in ein gemeinsames Abendessen am Sunset Strip über. Mark war humorvoll, intelligent und charmant. Es folgten weitere Dates, und acht Monate später mieteten sie zusammen ein Loft in einem ehemaligen Lagerhaus in Burbank.
Durch die Hilfe von Internet und Musiksendern wurde das erste Album von Dust ein internationaler Megahit. Inzwischen war ihr zweites Album fertig, das in einem Monat in
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