Der Knochenmönch
eine andere Männerstimme.
Wann schoß das Wesen?
Driscoll schaute hin. Das Hyänengesicht hatte sich verzerrt. Noch mehr Rauch quoll aus dem Maul und den Nasenlöchern, und mit einer lautlosen und geschmeidigen Bewegung zog sich das Geschöpf in die Dunkelheit zwischen den Sitzbänken zurück.
Es hatte nicht geschossen!
Der Jesuit hockte auf dem Eis und konnte es nicht begreifen. Welche Stimmungen ihn durchtobten, war nicht nachvollziehbar, aber eines wurde ihm klar.
Zwei Männer, zwei Besucher, hatten ihm, ohne daß sie es wußten, das Leben gerettet.
Mit einem Seufzen auf den Lippen sackte er zusammen und ließ sich rücklings auf das Eis fallen.
***
So fanden Suko und ich den Mann, der uns weiterhelfen sollte, obwohl er in diesem Augenblick nicht den Eindruck erweckte, daß er dazu in der Lage war. Von unten her starrte uns ein angstbleiches Gesicht mit weit aufgerissenen Augen und zitternden Lippen an.
»Da ist irgendwas passiert, John. Der Mensch ist nicht normal. Ich sehe mich mal um.«
»Tu das.«
Suko verschwand, während ich bei dem Liegenden zurückblieb und wissen wollte, ob er Father Driscoll war. Ich mußte die Frage wiederholen, bevor er mir zunickte.
»Sie sind es also?«
»Ja, ich bin es.«
»Warum geht es Ihnen schlecht?«
Er starrte mich für einen Moment an, dann lachte er schrill. Er hatte sich hingesetzt, schüttelte den Kopf und streckte mir dabei seinen rechten Arm entgegen. »Helfen Sie mir bitte hoch, Sie Lebensretter.«
Das tat ich.
Er stand neben mir. »Und nun?« fragte ich.
Driscoll schaute sich um. Er sah Suko, der zwischen den Sitzreihen umherturnte, aber keinen Menschen oder etwas Verdächtiges entdeckt hatte, denn er schüttelte den Kopf. »Lassen Sie uns zur Bande gehen und dort hinsetzen. Ich bin – nun ja, ich kann mich kaum halten. Meine Knie zittern. Der Knöcherne hatte die Schaufel schon ausgestreckt, doch ich bin ihm gerade noch entwischt.«
Ich hatte zugehört und mußte die Worte zunächst verdauen. Die Antwort glich einer Floskel. »Ich denke, daß Sie uns das erklären sollten, Father Driscoll.«
»Gern, sehr gern sogar.«
Er ließ mich los und glitt auf die gegenüberliegende Bande zu. Ich drehte mich noch einmal um, sah Suko aufgerichtet zwischen zwei Sitzreihen stehen und rief ihm ein »Na und?« hinüber.
»Nichts zu sehen, John.«
»Was hast du denn erwartet?«
»Einen – einen – na ja, ist auch egal. Ich werde zu euch kommen.«
Da ich nicht auf irgendwelchen Kufen stand, mußte ich mich sehr vorsichtig über das Eis bewegen. Driscoll hatte die Bande bereits erreicht und war über sie hinweggeklettert. Er war dabei, seine Schlittschuhe auszuziehen.
Auch ich kletterte über die kleine Mauer und setzte mich neben ihn. Er reichte mir die Hand. »Danke, daß Sie mir das Leben gerettet haben, Mister…«
»Ich heiße John Sinclair, und der andere Herr hört auf den Namen Suko.«
»Ach ja.«
Mein Mund zeigte ein Lächeln. »Das hörte sich an, als würden Sie uns kennen.«
Driscoll schaute gegen das Eis, wo Suko sich vorsichtig auf die Bande zubewegte. »Es ist möglich, daß ich Sie kenne, aber Sie scheinen mich zu kennen. Ich hörte, wie Sie meinen Namen riefen, also haben Sie etwas von mir gewollt.«
»Das ist richtig.«
»Was?«
Suko kletterte über die Bande. »Nichts mehr zu sehen. Kann sein, daß ich mich auch geirrt habe.«
»Wen wolltest du denn finden?«
»Er wollte den Killer finden. Er hat wahrscheinlich die Kreatur gesehen, die es auf mich abgesehen hatte. Sie wollte mich vom Eis schießen wie ein Jäger den Hasen. Und ich habe sie bewußt als eine Kreatur bezeichnet und nicht als einen Menschen, denn sie ist eine Kreatur gewesen und kein Mensch. Sie ist das biblische Unglück, von dem in den alten Büchern geschrieben wurde. Sie ist das Böse gewesen«, flüsterte er und bekam eine Gänsehaut.
»Das Böse also?« fragte ich.
»Ja, Mr. Sinclair. Ich habe über Ihren und Sukos Namen nachgedacht. Soll ich jetzt sagen, daß Sie beide mir der Himmel geschickt hat?«
»Der nicht«, meinte Suko. »Es war John Sinclairs Vater. Und er hat Ihren Namen von einem Mann namens William Cartland ghört.«
Driscoll zuckte so heftig zusammen, als wäre er geschlagen worden.
»Sie sagten William Cartland?«
»Sagte ich. Kennen Sie ihn?«
»Und ob«, flüsterte der Jesuit. »Was ist denn mit ihm? Wieso hat er mit Mr. Sinclairs Vater geredet?«
»Cartland ist tot«, erklärte ich. »Sterbend hat er meinem Vater noch einige
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