Der Köder
Es gibt eine
Übereinstimmung mit der Interpol-Liste, alle anderen stehen auf der von Grace MacBride gefaxten Liste der inländischen Trips, die
Gilbert, Kleber und Schuler gemeinsam unternommen haben. Wenn
wir die lokalen Polizeidienststellen anrufen und das jeweilige Datum weitergeben, stoßen wir vermutlich auf bisher ungelöste Mordfälle.»
Magozzi ließ den Blick über die Bilder schweifen, und hinter
jedem sah er eine Leiche. «Mein Gott», flüsterte er. «Diese Bilder dienen nicht dem Angedenken. Sie sind Trophäen. Eine für jeden
Nazi, den sie umgebracht haben. Wir haben es hier mit sechzig
Leichen zu tun.»
«Einundsechzig», sagte Langer. «Er hat nicht mehr die Zeit
gefunden, auch für Arien Fischer eins aufzuhängen.»
Malcherson nahm eines der Fotos zur Hand und betrachtete die
Gesichter der Menschen, die schon länger als ein halbes Jahrhundert tot waren. «Keine Trophäen, Detective Magozzi. Es waren
Opfergaben an seine Familie», sagte er leise. «Jedes Jahr ein Toter.»
Gino seufzte und schob die Hände in die Taschen. «Mann, ich
habe so manchen Wahnsinn erlebt, aber die Geschichte schlägt alles.
Diese Leute haben sechzig Jahre lang gemordet.» Er sah hinüber zu McLaren, der die Rahmen öffnete, die Fotos herauszog und sie dann in anscheinend chronologischer Folge auf den Tisch legte. Er hatte nichts gesagt, seit sie den Raum betreten hatten, aber er sah nicht mehr so niedergeschlagen aus. Nur konzentriert und ein wenig
wütend, was begrüßenswert war. Niedergeschlagene Polizisten
waren ziemlich nutzlos. «Hast du in Rose Klebers Haus etwas
gefunden, McLaren?»
«Aber ja. So ungefähr tausend Fotos von ihren Enkelkindern,
jede einzelne Grußpostkarte, die sie je bekommen hat, du weißt
schon, typisch Großmutter. Nichts wie das hier und auch keine
Waffe. Zwei von unseren Leuten sind noch drüben. Ich bin
zurückgekommen, als Langer anrief.»
«Wir haben auch etwas von Grace mitgebracht», sagte Magozzi.
Er legte den Ausdruck mit dem Foto der SS-Offiziere auf den
Tisch, zeigte ihnen Arien Fischer als jungen Mann namens Heinrich Verlag und erzählte ihnen die ganze Geschichte.
Langer nahm das Foto zur Hand und betrachtete es genauer.
«Fischer war ein großer Fang – besonders für Morey oder Ben
Schuler, nehme ich an, da sie beide in Auschwitz waren, zusammen
mit dieser Bestie.»
«Ja», sagte Gino, «und ich möchte nicht wissen, was er ihnen
angetan hat, um einen solchen Tod zu verdienen.»
«Ich verstehe nur eins nicht», fuhr Langer fort. «Jahrzehntelang
hat er direkt unter ihren Augen gelebt. Warum haben sie so lange
gewartet, bis sie ihn umgebracht haben?»
Magozzi zuckte die Achseln. «Möglicherweise hatten sie ihn
gerade erst gefunden. Wir wissen noch nicht, wie sie diesen Leuten auf die Spur gekommen sind, aber offenbar waren sie Wiesenthal
und den restlichen Gruppen voraus, die nach NS-Verbrechern
fahnden – Fischer stand seit den fünfziger Jahren auf der Suchliste.
Oder es war nur ein glücklicher Zufall. Fischer war so was wie ein Einsiedler, wenn ihr euch erinnert. Die lutherische Kirche besuchte er regelmäßig, aber es dürfte eher unwahrscheinlich sein, dass er im Laufe der Jahre dort auf Morey Gilbert oder Ben Schuler getroffen ist. Vielleicht hat er vor ein paar Wochen einen Spaziergang
gemacht, und einer von ihnen hat ihn im Vorbeifahren erkannt. Wir werden es nie erfahren.»
Gino nickte. «Also fahren Morey Gilbert und der Rest am
Sonntagabend zu Fischers Haus. Sie haben genau geplant, was sie
ihm antun wollen, und sogar eine Bahre auf Rädern mitgebracht.
Fischer setzt sich zur Wehr oder versucht davonzurennen. Was auch geschah, einer ist in Panik geraten und hat geschossen. Und Fischer droht zu verbluten, bevor sie ihn zu den Eisenbahngleisen schaffen können.»
«Also schnappen sie sich den Tischläufer vom Couchtisch und
benutzen ihn zum Abbinden», sagte Langer.
«Genau. Dann bringen sie Fischer zu den Eisenbahngleisen,
führen ihren Plan aus, und bereits ein paar Stunden später ist Gilbert tot. Am nächsten Tag wird Rose Kleber umgebracht, Schuler an dem
darauf. Ich kann mir vorstellen, dass jemand, der Fischer nahe stand, gesehen hat, was sich ereignete, und sich dann aufgemacht hat, für ausgleichende Gerechtigkeit zu sorgen.»
McLaren schüttelte den Kopf. «Alles passt, bis auf den letzten
Teil. Es gab niemanden, der Fischer nahe stand, keine Ehefrau, keine Kinder, keine Freunde, soweit wir feststellen
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