Der Köder
«Ich bin in ein paar Minuten bei euch.»
Becky Gilbert war ebenso wie die Gegend, in der sie wohnte, ein
bisschen zu perfekt, um natürlich zu sein. Ihr hübsches gebräuntes Gesicht war glatt und eigenartig straff wie Stoff, der zu stramm über einen Stickrahmen gespannt war. Sie hatte den geschmeidigen und
austrainierten Körper einer Frau, die ihre Mitgliedschaft in einem Fitnessclub sehr ernst nimmt, und ihr weißes Tennisdress sah aus, als sei es maßgeschneidert, um ihre Figur zu unterstreichen. Diamanten funkelten an ihrem Handgelenk – wahrscheinlich die einzige Frau
auf der Welt, die tatsächlich Tennisarmbänder trug, wenn sie Tennis spielte, dachte Magozzi.
Ihre Augen funkelten vor Zorn, als Magozzi näher kam. «Mrs.
Gilbert?»
«Ja. Und wer sind Sie?»
«Detective Magozzi, Minneapolis Police Department.
Morddezernat.»
Über seine Schulter hinweg warf sie wütende Blicke auf Jack, der
die Auffahrt hinunterging. «Noch ist er nicht tot.»
«Sie klingen enttäuscht.»
Sie seufzte frustriert und zwang sich zu einem gequälten Lächeln.
«Ich bin nicht enttäuscht, Detective. Ich bin einfach nur wütend. Die Polizei war die halbe Nacht hier und hat nach Jacks imaginärem
Verbrecher gesucht. Und jetzt dieses Spektakel.»
«Also glauben Sie nicht, dass jemand versucht, ihn zu töten?»
«Natürlich nicht. Jack hat im letzten Jahr allerhand verbrannte
Erde hinterlassen, aber nichts war so schlimm, dass man ihn etwa
deswegen umbringen würde.»
«Fällt Ihnen etwa Ungewöhnliches ein, das in letzter Zeit passiert ist?»
«Zum Beispiel?»
«Oh, ich weiß nicht, fremde Autos in der Nähe, nächtliches
Klopfen an der Tür, Anrufe, bei denen wieder aufgelegt wird, oder Drohanrufe, solche Dinge.»
«Nichts dergleichen.» Neugierig neigte Becky sich zur Seite.
«Morddezernat. Geht es um seinen Vater?»
«Ja. Wir mussten Jack noch einige Fragen stellen.»
Becky Gilberts offener Zorn auf ihren Ehemann schien zu
verrauchen, aber die Verbitterung wollte nicht aus ihrem Blick
weichen. «Das war eine schreckliche Sache.»
«Hat Jack mit Ihnen über den Mord an seinem Vater
gesprochen?», fragte Magozzi.
Sie schüttelte den Kopf. «Jack hat nie über seinen Vater
gesprochen, Punkt. Als wir uns kennen lernten, haben die beiden
schon nicht mehr miteinander gesprochen. Ich hatte den Eindruck, es sei ein heikles Thema, und daher habe ich es nie angesprochen.»
Magozzi betrachtete diese Frau, die so offensichtlich in diesen
Vorort gehörte und ebenso eindeutig auch hier leben wollte, und kam auf den Gedanken, dass sie am Ende gar nicht so respektvoll
gegenüber den Gefühlen ihres Mannes gewesen war, sondern dass
sie mit einem älteren jüdischen Ehepaar, das in Uptown wohnte,
nichts hatte anfangen können.
«Wissen Sie, was den Bruch zwischen Jack und seinem Vater
verursacht hat?»
«Ich habe keine Ahnung, Detective. Er hat sich entschlossen,
diese Information nicht mit mir zu teilen.»
Und du hast ihn nie gefragt, dachte Magozzi.
Er hatte die halbe Auffahrt hinter sich, als Chief Boyd ihn mit
seinem freundlichen Lächeln abfing.
«Detective Magozzi. Haben Sie etwas erfahren, das vielleicht im
Zusammenhang mit Ihren Fällen in Uptown steht?»
«Nichts, es sei denn die Ballistiker finden etwas. Wir würden uns freuen, wenn Sie uns gleich benachrichtigen, sobald Sie Ergebnisse haben, Chief.»
«Da kann ich Ihnen einen größeren Gefallen tun. Wir haben nur
sehr selten Arbeit für die Leute im Labor, und ich vermute, dass Sie dort etwas mehr Einfluss haben als wir.» Er hielt einen großen
versiegelten Beutel in die Höhe, dem ein kleines Plastiketui mit
einem Protokollzettel beigefügt war, auf dem die Kette der
verantwortlichen Verwahrung vermerkt wird. «Eine Smith &
Wesson, 9 Millimeter, elf Patronenhülsen und neun Projektile. Ich hatte gehofft, Sie würden das für uns untersuchen lassen.»
Magozzi grinste ihn an. «Und ich hatte gehofft, Sie würden mich
darum bitten. Erspart mir die Mühe, Sie danach zu fragen.» Er zog das Protokollblatt heraus, strich es auf seinem Knie glatt und
unterschrieb.
«Wenn ich mich recht erinnere, wurde die ältere Frau in Uptown
doch mit einer 9-Millimeter erschossen», sagte Chief Boyd wie
beiläufig.
Und Ben Schuler ebenfalls, dachte Magozzi, aber es gab keinen Grund, diese Information jetzt schon auf den Tisch zu legen. «Das stimmt.»
«Also werden Sie schon sehr bald einige Antworten zu der Waffe
in diesem Beutel
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