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Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie

Titel: Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie
Autoren: Mukherjee Siddhartha
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Entzündung. Die Zellen rings um den Fremdkörper beginnen sich wild zu teilen, als gälte es eine kleine Wunde zu heilen, und an der Stelle entsteht ein von der ursprünglichen Zelle abstammender kleiner Klumpen.
    In einer Zelle dieses Klumpens kommt es zu einer zufälligen Mutation im Ras -Gen. Daraus geht eine aktivierte Version von Ras hervor. Die Zelle mit dem mutierten Gen ist gezwungen, sich rascher zu teilen als ihre Nachbarinnen, und bildet einen eigenen Zellklumpen innerhalb des ursprünglichen Klumpens. Sie ist noch keine Krebszelle, aber eine Zelle, in der eine unkontrollierte Teilung partiell in Gang gesetzt wurde – sie ist die Urahnin von Krebs.
    Ein Jahrzehnt vergeht. Die kleine Gruppe von Ras -mutierten Zellen an der Peripherie der Lunge fährt unbemerkt fort zu wuchern. Der Mann raucht; eines Tages gelangt eine krebserregende chemische Substanz aus dem Teer in der Zigarette an die Peripherie seiner Lunge und kollidiert mit dem Klumpen Ras -mutierter Zellen. In einer Zelle aus diesem Verband tritt eine zweite Genmutation auf und aktiviert ein zweites Onkogen.
    Es vergeht ein weiteres Jahrzehnt. Eine andere Zelle aus diesem sekundären Zellhaufen gerät in die Bahn eines fehlgeleiteten radioaktiven Strahls und erwirbt eine Mutation, deren Folge die Inaktivierung eines Tumorsuppressorgens ist. Diese Mutation hat kaum Auswirkungen, die Zelle besitzt ja noch ein zweites, nichtmutiertes Exemplar des Gens. Doch im Jahr darauf inaktiviert eine andere Mutation das zweite Exemplar des Tumorsuppressorgens. Die Zelle enthält nun zwei aktivierte Onkogene und ein inaktives Tumorsuppressorgen.
    Jetzt hat eine fatale Entwicklung begonnen; das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Die Zellen, nun mit vier Mutationen ausgestattet, überwuchern ihre Schwestern. Im Wachsen erwerben sie zusätzliche Mutationen und aktivieren verschiedene Signalwege, was Zellen hervorbringt, die noch überlebensfähiger, noch wachstumsfreudiger sind. Eine Mutation versetzt den Tumor in die Lage, die Blutgefäße seiner Umgebung zum Wachsen anzuregen; er ist jetzt gut genährt, wird gut mit Blut versorgt, und eine weitere Mutation erlaubt ihm, auch in sauerstoffarmen Gegenden des Körpers zu wachsen.
    Mutierte Zellen erzeugen Zellen erzeugen Zellen. In einer Zelle wird ein Gen aktiviert, das die Motilität von Zellen verbessert. Diese beweglich gewordene Zelle kann nun durch das Lungengewebe wandern und in die Blutbahn eindringen. Eine Nachfahrin dieser mobilen Krebszelle erwirbt die Fähigkeit, in Knochen zu überleben. Diese wandert durch die Blutbahn und lässt sich im Beckenkamm nieder, wo sie einen weiteren Zyklus aus Überleben, Selektion und Kolonisierung in Gang setzt. Sie begründet die erste Metastase eines Tumors, der in der Lunge begonnen hat.
    Der Mann ist jetzt ab und zu kurzatmig. Am Rand seiner Lunge kribbelt ein kleiner Schmerz. Beim Gehen fühlt er manchmal, dass sich unter dem Brustkorb etwas bewegt. Es vergeht ein weiteres Jahr, und die seltsamen Empfindungen verstärken sich. Der Mann sucht einen Arzt auf; eine Computertomografie offenbart eine rindenartige Masse, die sich um eine Bronchie schlingt. Eine Biopsie ergibt die Diagnose Lungenkrebs. Ein Chirurg untersucht den Mann und das CT-Bild der Brust und beurteilt den Tumor als inoperabel. Drei Wochen nach diesem Termin kommt der Mann abermals in die Klinik und klagt über Schmerzen in den Rippen und in den Hüften. Ein Knochen-CT zeigt Metastasen im Becken und in den Rippen.
    Eine intravenöse Chemotherapie wird eingeleitet. Die Zellen im Lungentumor reagieren darauf. Der Mann kämpft sich tapfer durch einen strapaziösen Therapieplan mit zahlreichen zytotoxischen Substanzen. Aber während der Behandlung tritt in einer Tumorzelle wieder eine Mutation auf, die sie resistent gegen den chemotherapeutischen Wirkstoff macht. Sieben Monate nach der ursprünglichen Diagnose kommt es zu einem Rezidiv, und diesmal bricht der Tumor in verschiedenen Körperteilen aus – in der Lunge, den Knochen, der Leber. Am Morgen des 17. Oktober 2004 stirbt der Mann, narkotisiert von Opiaten, in einem Krankenhausbett in Boston, im Beisein von Frau und Kindern, an metastasiertem Lungenkrebs, und das Asbeststäubchen sitzt noch immer an der Peripherie seiner Lunge. Er ist sechsundsiebzig.
    Diese Geschichte hat als hypothetischer Werdegang von Krebs begonnen. Die Gene, die Karzinogene und die Aufeinanderfolge der Mutationen sind alle höchstwahrscheinlich hypothetisch. Aber der Körper, von dem
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