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Der König auf Camelot

Der König auf Camelot

Titel: Der König auf Camelot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.H. White
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einen Speer ohne Spitze
unter den Arm geklemmt, gegen Onkel Dap anrannte. Dieser saß, cap-à-pie gewappnet,
auf einem Hocker, und Lanzelot stürmte mit seinem abgestumpften Speer wieder
und wieder auf ihn los, um zu lernen, welche Stellen an der Rüstung für einen
direkten Stoß am besten geeignet waren. Dann brachte er viele einsame Stunden
mit Körperübungen zu, andere draußen auf dem Platz, wo er, ehe man ihm
überhaupt erlaubte, richtige Waffen zu berühren, im Werfen unterwiesen wurde
und den Umgang mit Schleuderstange und Wurfspieß zu erproben hatte. Nach einem
Jahr der Plackerei durfte er sich am pel-quintain versuchen. Das war ein
aufrecht im Boden steckender Stab, gegen den er mit Schwert und Schild kämpfen
mußte – ein Training, das dem Schattenboxen oder der Arbeit am Sandsack ähnelt.
Bei diesen Übungen mußte er Waffen tragen, die doppelt so schwer waren wie ein
normales Schwert und ein normaler Schild. Sechzig Pfund sollte beides zusammen
wiegen. Auf diese Weise wurde dafür gesorgt, daß er später, wenn er schließlich
normale Waffen in die Hand bekam, diese mit Bravour handhaben konnte. Sie
erschienen ihm dann vergleichsweise leicht. Den Abschluß einer anständigen
Vorschulung bildeten die Scheingefechte. Nun endlich durfte er, nach all den
Mühen, mit seinen Brüdern und Vettern Kämpfe austragen, die fast schon
richtigen glichen. Diese Kämpfe fanden nach strengen Regeln statt. Geschah die
Eröffnung etwa durch einen Streich mit dem stumpfen Speer, so mußten sieben
Schläge mit einem abgerundeten, stumpfen Schwert folgen – ›ohne Handgemenge,
was nach Maaßgabe der amtierenden Schiedsrichter soll geahndet werden‹. Auch
der direkte Stoß galt in solchen Kämpfen als regelwidrig. Endlich gab es das
große ›Bramarbasieren‹, das heißt: der in Fahrt geratene Junge durfte seinen
Kontrahenten mit Schwert und Schild ungestüm bedrängen.
    Wer
einmal mit den altmodischen Taucheranzügen unter Wasser gewesen ist, die bei
der Royal Navy in Gebrauch waren, ehe die Froschmänner aufkamen, der weiß,
weshalb Taucher sich so langsam bewegen. Ein Taucher vom alten Schlag hat
vierzig Pfund Blei an jedem Fuß und zwei Bleiplatten am Leib, eine auf dem
Rücken und eine auf der Brust, und jede wiegt noch einmal fünfzig Pfund. Hinzu
kommt noch das Gewicht des Anzugs und des Helms. Wenn der Mann nicht unter
Wasser ist, hat er also das Doppelte seines Normalgewichts zu tragen. Muß er
über eine Trosse oder einen Luftschlauch an Deck steigen, so bedeutet das eine
schwere Anstrengung, als müßte er über eine hohe Mauer klettern. Gibt man ihm
von vorn einen Stoß, kann es leicht geschehen, daß er das Übergewicht bekommt
und nach hinten kippt. Umgekehrt ist’s das gleiche. Geübte Taucher gewöhnen
sich an solche Tücken und können mit ihren Vierzig-Pfund-Schuhen relativ behend
die Schiffsleiter auf- und niedersteigen, einen Amateur indessen bringt schon
die einfachste Bewegung schier um. So erging es auch Lanzelot: wie ein Taucher
mußte er lernen, sich gegen die Schwerkraft zu behaupten.
    Ritter
in voller Rüstung glichen einem Taucher in mehr als einer Hinsicht.
    Mit
ihm hatten sie nicht nur Helme, Lasten und Atemschwierigkeiten gemein – wie er
waren sie außerstande, ohne die Hilfe von freundlichen und verläßlichen
Assistenten in ihre Panzerung hineinzukommen. Sie waren darauf angewiesen, daß
diese Gehilfen ihre Arbeit mit größter Sorgfalt verrichteten. Ein Taucher gibt
sein Leben in die Hände der Matrosen, die ihm seine Ausrüstung anlegen. Diese
jungen Leute – Pagen oder Schildknappen vergleichbar – bemuttern ihn mit großer
Umsicht und Gewissenhaftigkeit und mit einer Art fürsorglichen Respekts. Sie
reden ihn stets mit seinem Titel an, nie mit seinem Namen. Sie sagen: »Setzen
Sie sich, Taucher«; oder: »Jetzt den linken Fuß, Taucher«; oder: »Taucher Zwei,
können Sie mich über die Ei.-V. hören?«
    Es
tut gut, anderen Menschen sein Leben anvertrauen zu können.
    Drei
volle Jahre dauerte das. Den anderen Jungen machte es nichts aus, denn sie
dachten dabei an mancherlei andere Dinge; doch für den Häßlichen war’s ein
ganzes, dunkles und mystisches Leben. Er mußte, Arthur zuliebe, vollkommen
werden: als einer, der bei den Turnieren sich gut zu schlagen wußte; und er
mußte, noch nachts im Bett, über die Theorie des Rittertums nachsinnen. In
Hunderten von strittigen Fragen mußte er eine eigene, fundierte Meinung
erwerben – mußte über die angemessene Länge von

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