Der König auf Camelot
verschiedene Arten von Liebe. Frauen
lieben gleichzeitig ihre Kinder und ihre Ehemänner – und Männer denken oftmals
mit Begier an eine Frau, während ihr Herz an einer anderen hängt. So ähnlich
war es mit Ginevra, die sich in den Franzosen verliebte, ohne daß ihre Liebe zu
Arthur darunter litt. Die beiden – Ginevra und Lanzelot – waren kaum über das
Kindesalter hinaus, als es begann, und der König war ungefähr acht Jahre älter.
Einem Zweiundzwanzigjährigen kommt ein Dreißigjähriger beinahe wie ein Greis
vor. Die Heirat von Ginevra und Arthur war eine sogenannte ›arrangierte‹ Ehe.
Das heißt, sie war durch König Leodegrance vertraglich vereinbart worden; um
die Meinung des Mädchens hatte man sich dabei nicnt gekümmert. Es erwies sich
als eine gute Verbindung, wie dies bei Vernunftehen nicht selten der Fall ist;
und solange Lanzelot nicht aufgetaucht war, hatte das junge Mädchen bewundernd
zu ihrem berühmten Gemahl aufgeblickt, obwohl er schon so alt war. Sie empfand
Achtung vor ihm, und hinzu kamen Dankbarkeit, Güte, Liebe und das Gefühl,
wohlbehütet zu sein. Sie hatte noch weit mehr empfunden. Vielleicht könnte man
es so ausdrücken: Sie hatte alles für ihn empfunden – nur keine
romantisch-überschwengliche Leidenschaft.
Und
dann kamen die Besiegten. Auf dem Thron eine junge, errötende Königin, knapp
über zwanzig Sommer alt, und vor ihr die ganze von Fackeln erleuchtete Halle
voll adliger Ritter, kniend zu ihren Füßen. »Wessen Gefangener seid Ihr?«
»Ich
bin der Königin Gefangener, auf Gedeih und Verderb, geschickt von Sir
Lanzelot.«
»Wessen
Ihr?«
»Der
Königin, durch Lanzelots Arm.« Sir Lanzelot – immer dieser Name auf aller
Lippen: der beste Ritter der Welt, alle übertreffend, sogar Tristan – , Sir
Lanzelot, der Höfische, der Gnädige, der Häßliche, der Unbesiegbare. Und er
hatte sie alle zu ihr geschickt. Es war wie eine Geburtstagsfeier – so viele
Geschenke! Es war wie im Märchen.
Ginevra
saß sehr aufrecht da und nickte den Gefangenen königlich zu. Sie begnadigte
alle. Ihre Augen leuchteten heller als ihre Krone.
Lanzelot
kam als letzter. Unter den Fackelträgern an der Tür entstand Bewegung, und in
der Halle erhob sich ein Raunen. Das Klirren von Messern und Tellern und
Krügen, die freundlichen Zurufe, die eben noch wie das große Stelldichein von
Seevögeln auf St. Kilda geklungen hatten, die Bitten um Hammelfleisch oder Met
– alles verstummte, und das Gewimmel weißer Gesichter wandte sich auf einmal
zur Tür. Dort stand Lanzelot; diesmal nicht in voller Rüstung, sondern in
prächtigem Samtgewand. Er zögerte in der dunklen Umrahmung, furchterregend und
freundlich, verwundert ob des plötzlichen Schweigens. Dann wandten sich die
Gesichter wieder ab, die Seevogel-Vollversammlung nahm ihren Fortgang, und
Lanzelot kam herbei, um des Königs Hand zu küssen.
»Fürwahr,
Lanz«, sagte Arthur fröhlich, »hier ist was los, kann man wohl behaupten. Jenny
kann kaum stillsitzen – bei all den vielen Gefangenen.«
»Sie
waren für sie bestimmt«, sagte Lanzelot. Die Königin und er sahen einander
nicht an. In dem Moment, da er die Schwelle überschritt, hatten sich, wie zwei
Magnete, die zusammenschießen, ihre Blicke getroffen.
»Ein
wenig werden sie auch für mich gewesen sein, möchte ich meinen«, sagte der
König. »Alles in allem habt Ihr mir da ungefähr drei Grafschaften zum Geschenk
gemacht.«
Lanzelot
hatte das Gefühl, er dürfe jetzt keine Pause aufkommen lassen. Hastig redete er
drauflos.
»Drei
Grafschaften sind nicht viel«, sagte er, »für den Kaiser von ganz Europa. Ihr
sprecht, als hättet Ihr nicht den Diktator von Rom besiegt. Wie geht’s mit
Euren Dominions voran?«
»Es
geht voran, wie Ihr’s bewirkt, Lanz. Es hätte keinen Sinn gehabt, den Diktator
zu besiegen, wenn Ihr nicht mit den anderen das Zivilisieren besorgtet. Was für
einen Zweck hat es, der Kaiser von Europa zu sein, wenn alles ein blutiger
Wirrwarr, ein einziges Schlachtfeld ist?«
Ginevra
unterstützte ihren Helden in dem Bemühen, kein Schweigen eintreten zu lassen.
Es war ihre erste Übereinkunft, ihre erste Gemeinsamkeit.
»Arthur«,
sagte sie, »Ihr seid ein sonderbarer Mensch. Die ganze Zeit kämpft Ihr und
erobert Länder und gewinnt Schlachten – und dann sagt Ihr, Kämpfen sei von
Übel.«
»Es
ist von Übel. Es ist das Übelste auf der Welt. Ach, Gott, müssen wir das noch
einmal klären?«
»Nein.«
»Was
machen die Orkneys?« fragte der
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