Der König auf Camelot
König Arthurs Theorie für sich selber
auszubauen. Er glaubte ebenso fest wie Arthur, ebenso unerschütterlich wie der
unaufgeklärte Christ, daß es so etwas wie ›das Rechte‹ gab. Und schließlich
behinderte ihn sein eigener Charakter. Irgendwo in seinem Gehirn, tief unten,
gab es unglückliche und unauflösbare Verwicklungen, die er fühlte, die ihn
hemmten und die wir nicht erklären können. Er selber hätte es auch nicht zu
erklären vermocht, und für uns liegt’s allzu weit zurück. Er liebte Arthur, und
er liebte Ginevra, und er haßte sich selbst. Der beste Ritter der Welt: jeder
neidete ihm die Selbstachtung, die daraus entspringen mußte. Lanzelot aber
hielt sich nie für gut oder nett. Unter der grotesken und großartigen Schale
mit dem Gesicht eines Quasimodo herrschten Scham und Ekel vor sich selbst,
eingepflanzt in frühester Jugend, durch etwas, das sich heute nicht mehr
aufspüren läßt. Es ist so entsetzlich leicht, kleinen Kindern einzureden, daß
sie scheußlich sind.
»Mir
scheint«, sagte Onkel Dap, »das hängt weitgehend von dem ab, was die Königin zu
tun gedenkt.«
KAPITEL 11
Diesmal blieb
Lanzelot mehrere Wochen bei Hofe, und mit jeder Woche wurde es schwieriger,
wieder davonzureiten. Zu der mehr oder weniger gesellschaftlichen Schwierigkeit,
in der er sich befand, kam ein persönliches Problem: er schätzte nämlich die
Keuschheit höher ein, als es in unserm Jahrhundert der Brauch ist. Wie der Mann
bei Lord Tennyson, so glaubte auch er, daß man nur dann die Stärke von zehnen
haben kann, wenn man reinen Herzens ist. Es trifft zu, daß er die Stärke von
zehnen besaß, und das Mittelalter hat sich das erstaunliche Faktum auf die
genannte Weise erklärt. Folglich befürchtete der Held selber, er müsse seine
zehnfache Stärke einbüßen, wenn er der Königin nachgäbe. Aus diesem Grunde, wie
auch aus den anderen, setzte er sich mit dem Mute der Verzweiflung gegen sie
zur Wehr. Für Ginevra war es gleichfalls nicht angenehm.
Eines
Tages sagte Onkel Dap: »Es war’ besser, wenn du fortgingst. Du hast an die
fünfundzwanzig Pfund Gewicht verloren. Wenn du gehst, entscheidet sich’s. So
oder so. Am besten bringst du’s bald hinter dich.«
Lanzelot
sagte: »Ich kann nicht gehn.«
Arthur
sagte: »Bitte, bleibt.«
Ginevra
sagte: »Geht.«
Die
zweite Queste, auf die er sich begab, wurde zur Wende seines Lebens. In Camelot
hatte man viel über einen gewissen König Pelles geredet, der gelähmt war und im
Spukschloß Corbin lebte. Man hielt ihn für etwas übergeschnappt, da er
behauptete, er sei mit Joseph von Arimathia verwandt. Heute würde er wohl ein
Britischer Israelit werden, der den Rest seines Lebens damit verbringt, die
Gänge in der Großen Pyramide zu vermessen und aufgrund der gewonnenen
Zahlenverhältnisse das Ende der Welt zu errechnen. König Pelles war aber
dennoch nur ein bißchen verdreht, und in seinem Schloß spukte es tatsächlich.
Es hatte ein Geistergemach mit unzähligen Türen, durch die nächtens Dinge kamen
und einen überfielen. Arthur war der Meinung, Lanzelot solle sich die Sache
einmal ansehen.
Auf
dem Wege nach Corbin hatte Lanzelot ein seltsames Abenteuer, dessen er sich
viele Jahre mit großem Schmerz erinnerte. Es sollte das Ende seiner
Unberührtheit bedeuten, und während der folgenden zwanzig Jahre mußte er Tag
für Tag daran denken, gequält von der Überzeugung, daß er bis dahin ein Mann
Gottes gewesen sei, seither aber nichts als eine wandelnde Lüge.
Unterhalb
des Schlosses zu Corbin befand sich ein offenbar wohlhabendes Dorf. Es hatte
gepflasterte Straßen und steinerne Häuser und alte Brücken. Das Schloß erhob sich
auf der einen Seite des Tales, und auf der anderen stand ein ansehnlicher Turm.
Alle Dorfbewohner waren auf der Gasse, als erwarteten sie ihn, und in der Luft
lag etwas Unwirkliches, Traumhaftes, als hätte die Sonne einen Schauer
Goldstaub versprüht. Lanzelot hatte ein eigenartiges Gefühl. Vielleicht hatte
er zuviel Sauerstoff im Blut; denn er gewahrte jeden einzelnen Stein in jeder
Mauer, und all die Farben im Tal, und den munteren Hufschlag seines Pferdes.
Die Bewohner des verzauberten Dorfes kannten seinen Namen.
»Willkommen,
Sir Lanzelot Dulac«, riefen sie, »die Blüte der Ritterschaft! Ihr werdet uns
helfen aus aller Gefahr.«
Er
zügelte sein Pferd und sprach zu ihnen.
»Weshalb
sprecht Ihr mich an?« fragte er und dachte dabei an andere Dinge. »Woher kennt
Ihr meinen Namen?
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