Der König Der Komödianten: Historischer Roman
niemand etwas gegen mich vorzubringen – so Gott will. Mögen sie die Kämme mit ihm bestatten, auch wenn ich von dem ausgehandelten Entgelt nicht einmal die Hälfte bekommen habe. Dabei brauchen wir jeden Soldo, denn sobald Camilla niederkommt, müssen die Incomparabili eine Weile pausieren – Camilla war schon immer unersetzlich, als Darstellerin und als Tochter.
Die Vorstellung, im nächsten Frühjahr Großvater zu werden, schreckt mich sehr, fühle ich mich doch selbst kaum älter denn zu der Zeit, da ich ein Jüngling war. Wenigstens wird das Kind mit Francesco einen guten Vater haben, auch wenn dieser sich mehr durch schauspielerische Fähigkeiten als durch Geschäftssinn hervortut.
Der an der Pest erkrankte Bursche neben mir bot mir heute viel Geld für ein Geschäft, und ich ringe mit mir, ob ich mich darauf einlassen soll, weil es nicht ungefährlich ist und weil die Truppe dann aus Venedig verschwinden müsste. Andererseits müssen wir sowieso verschwinden, wegen der dummen Kämme –
An dieser Stelle brach der Eintrag ab, doch er gab genug her, um einige Schlüsse zu ziehen. Baldassarre war im Jahr meiner Geburt in Venedig gewesen und hatte just zu jener Zeit dasGeschäft mit den Hornkämmen getätigt, von dem er gesprochen hatte. Und man hatte ihn ins Gefängnis gesteckt, während seine Tochter Camilla guter Hoffnung war – mit Elena. Danach hatte die Truppe offenbar die Stadt verlassen, denn nach allem, was ich wusste, war Baldassarre vor Elenas Geburt das letzte Mal in Venedig gewesen.
Ob er den geschäftlichen Vorschlag seines pestkranken Mithäftlings angenommen hatte?
Die Geschichte blieb rätselhaft.
Ich suchte nach weiteren Einträgen und fand deren drei, allesamt undatiert, doch da jedes Mal von Mithäftlingen, mangelnder Hygiene oder Kerkerfraß die Rede war, schloss ich daraus, dass auch sie im Gefängnis entstanden waren. Der Haftgrund schien ebenfalls immer derselbe gewesen zu sein, denn mehrfach beklagte Baldassarre, wie mimosenhaft und humorlos manche Kaufleute doch seien.
Zwei Einträge ordnete ich zeitlich vor der großen Pest ein, den dritten ungefähr ein Jahr danach, weil Baldassarre darin schrieb, dass seine Enkelin Elena bereits im Alter von vier Monaten den ersten Zahn bekommen habe.
Später hatte es anscheinend keine weiteren Gefängnisaufenthalte gegeben. Oder Baldassarre hatte die Bibel nicht mehr mitnehmen können.
Ich schloss die Augen und drückte das Buch an mich, jäh von Müdigkeit übermannt. Außerdem hatte ich Halsweh. Eine Nacht fast ohne Schlaf, noch dazu auf dem eiskalten Steinboden – das konnte auch bei robuster Konstitution nicht folgenlos bleiben.
Ich merkte, wie ich einnickte.
»Giovanni Contarini?«
Ich war bereits halb weggedämmert, sodass ich zuerst nicht reagierte.
»Giovanni Contarini?«
Das war ja ich!
»Hier!« Ich sprang auf, desorientiert und mit zitternden Gliedern.
»Dein Onkel will dich sprechen.«
Die Zellentür wurde aufgesperrt, und der dicke kleine Wärter, der mich am Vortag hineingeschickt hatte, ließ mich nun wieder heraus.
»Bis zum nächsten Mal!«, rief Nummer sieben mir nach.
Mein Kopf war gähnend leer, während ich hinter dem Wärter herstolperte. Bei der Tür, die den Gefängnistrakt vom übrigen Teil des Dogenpalastes trennte, überstellte er mich einem Amtsdiener. Erst jetzt gewann ich allmählich mein Denkvermögen zurück: Da mir keine Fesseln angelegt wurden und auch sonst keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen erkennbar waren, zog ich kurz in Erwägung, wie der Blitz zu verschwinden, doch die Außenpforten des Palastes waren allesamt schwer bewacht, und es widerstrebte mir zutiefst, meine Bekanntschaft mit den Wachleuten zu erneuern. Zudem hätte Morosini, falls er mir Übles wollte, mich nicht einfach ohne Bewachung und Fesseln zu seinem Amtszimmer bestellt, sondern in einem verborgenen Verlies ertränken oder erwürgen lassen. Oder mir Gift in den Kohl getan. Nummer sieben hatte mir berichtet, dass man mit diesen Methoden geheime Todesurteile vollstreckte, eine Information, die ich so unersprießlich fand, dass es mich sofort ein zweites Mal auf den Kübel trieb.
Weiter kam ich nicht mit Nachdenken, denn der Amtsdiener öffnete die Tür und hieß mich hineinzugehen.
Das Buch umklammernd, betrat ich den Raum – und stockte mitten im Schritt, denn beim Fenster stand Caterina, die sich lächelnd zu mir umdrehte. »Marco, was machst du denn für Sachen! Ich bin sofort hergekommen, als ich hörte, was mit
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