Der König der purpurnen Stadt: Historischer Roman (German Edition)
wird mich nicht anrühren. Das tut er nie. Er weiß, dass ich es der Königin sagen würde, und sie kann ihn ohnehin schon nicht ausstehen. Das macht ihm Sorgen, und er tut praktisch alles, damit ich ein gutes Wort für ihn bei ihr einlege.«
Jonah sah ungläubig auf das zierliche Kind hinab. »Das heißt, du hast ihn eben eiskalt erpresst.«
Sie nickte ungerührt. »Wenn es eine Sache gibt, die man von meinem Vater lernen kann, dann das.«
Sie hielten vor dem Tor. Jonah machte einen Diener. »Ich werde dir immer zu Dank verpflichtet sein.«
Der Gedanke schien sie außerordentlich zu erfreuen. »Ich werde Euch gelegentlich daran erinnern.«
»Das wird kaum nötig sein. Leb wohl.«
»Ihr auch, Sir. Ich denke, dass wir uns bald wiedersehen. Die Königin will den Sommer in Woodstock verbringen; wir brechen nächste Woche dorthin auf. Nur deswegen war ich heute zu Hause, um mich von meinem Vater zu verabschieden. Und sie hat gesagt, dass sie ein Fest für ihre Freunde geben will in Woodstock, sobald das Kind da ist. Sie nannte auch Euren Namen.«
Jonah hatte ohnehin schon weiche Knie. Jetzt musste er sich an die Mauer neben dem Tor lehnen, damit er nicht umfiel. Er sah zum wolkenlosen Himmel auf und stellte sich vor, wie es sein würde, Philippa wiederzusehen.
»Wird deine Schwester nie wieder laufen können?«, fragte er nach einer Weile.
»Nein, wahrscheinlich nicht«, antwortete sie leise. »Bruder Albert sagt, sie hat sich das Rückgrat gebrochen bei dem Sturz.«
Er wandte den Blick vom klaren Blau ab und schaute auf sie hinab. »Ich dachte, man stirbt, wenn man sich das Rückgrat bricht.«
Sie hob vielsagend die Schultern. »Meistens ja, sagt Bruder Albert. Aber Elena nicht.«
»Furchtbar …«, murmelte er unbehaglich.
»Ja. Aber sie sagt, es habe auch seine guten Seiten. Vater wollte sie zwingen, den Earl of Burton zu heiraten, und den fand sie grässlich. Jetzt ist sie im Kloster, wo es ihr ganz gut gefällt, wie sie sagt, und hat ihre Ruhe.«
Er dachte an seine eigene Zeit auf der Klosterschule, und er verstand, was Elena meinte.
»Auf bald, Jonah. Ich muss zu meinem Vater.«
Er stieß sich von der Wand ab und fuhr Giselle über den Schopf – eine Geste, die ihn selbst überraschte. »Reiß ihm nicht den Kopf ab. Auf bald.«
Er verbrachte den Nachmittag am Fluss. Das Wasser war schmutzig und voller Unrat. Brauereien, Gerber, Färber und vor allem die Schlachter leiteten ihre Abwässer in die Themse und warfen ihre Abfälle hinein. Weil London so nah an der Mündung lag, hatte der Fluss Gezeiten, und bei Ebbe waren die flachen Ufer von einem gräulich braunen Schlamm bedeckt, dem ein schauderhafter Gestank entstieg. Aber jetzt stand das Wasser hoch, floss eilig und doch ruhig dahin. Jonah saß im Ufergras unweit des Tower und sah dem ruhigen Sonntagsverkehr auf dem Wasser zu. Eine genuesische Karavelle kam mit der Nachmittagsbrise stromaufwärts und brachte Seide oder Waffen oder Goldschmiedearbeiten. Sie war ein schöner Zweimaster, groß und schnittig, und er hörte die Matrosen in ihrer weichen, melodiösen Sprache singen. Dann und wann warf er einen Kiesel ins Wasser und dachte über alles nach, was sich während der letzten zwei Tage ereignet hatte. Er fühlte sich erlöst. Natürlich war ihm klar, dass Martin Greene nicht ganz Unrecht gehabt hatte. William de la Pole eine Gefälligkeit schuldig zu sein war tatsächlich beinah so, als habe man seine Seele dem Satan verkauft. Doch sei’s drum, dachte er. Es spielte im Augenblick keine Rolle. Der drohende Ruin, der seit gestern wie ein Schwert an einem Seidenfaden über ihm gehangen hatte, war abgewendet. Mit den Folgen konnte er sich immer noch befassen, wenn sie über ihn hereinbrachen. Vorläufig war er gerettet. Die vierzigPfund, die Rupert ihm gestohlen hatte, stellten einen herben, einen sehr bitteren Verlust dar. Vierzig Pfund waren ein Vermögen, und er konnte sie in seinem Geschäft kaum entbehren. Ihr Verlust machte den ganzen Kontrakt zu einem finanziellen Fiasko. Aber da er nun in der Lage war, pünktlich zu liefern, würden vielleicht neue Kontrakte folgen. Er hatte einen herben Schlag einstecken müssen, aber er war noch im Geschäft. Er würde den Verlust wettmachen.
»Geschlagen, aber nicht besiegt, Rupert«, murmelte er vor sich hin. »Und du wirst bluten.«
»Ich muss sagen, Ihr seht eine ganze Portion besser aus als heute früh, Sir«, bemerkte Rachel, als er heimkam.
»Ist der Junge zurück?«, fragte er und
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