Der Koenig geht tot
an diesem Wochenende so ein verdammtes Schützenfest stattfinden, oder nicht?«
Robert meinte es ernst. Wild entschlossen war er von seiner Dachgeschoßwohnung in der Kölner Südstadt weggefahren, um mit uns ein zünftiges sauerländisches Schützenfest zu erleben. Nicht ahnend, daß allein das Wort Schützenfest bei uns ein vorfestliches Brechgefühl auslöste. Alexa und ich taten unser Bestes. Wir erzählten von den Vorfällen des vergangenen Wochenendes, beschworen Roberts rheinischen Karnevalsstolz und malten unserem Freund in glühenden Farben aus, daß man als Außenstehender bei solchen Festen kaum eine Chance habe, in Stimmung zu kommen. Man stehe stundenlang herum, während die Einheimischen sich köstlich amüsierten, womöglich sogar auf Kosten rheinischer Wochenendtouristen. Alexa führte aus, daß am Sonntagabend die Atmosphäre in der Halle eh nicht so klasse wäre, weil alle sich mental auf das Vogelschießen am kommenden Morgen vorbereiteten. Ich wollte gerade hinzufügen, daß man als Ortsfremder zunächst zehn Hallenrunden geben müsse, um überhaupt die Toilette benutzen zu dürfen, als Robert einlenkte. »Von mir aus«, willigte er ein. »Von mir aus verbringen wir den Abend in trauter Dreisamkeit. Aber morgen! Morgen muß ich unbedingt dahin. Und wenn ich allein gehen muß.«
»In Gottes Namen«, wisperte ich. »Du bekommst morgen dein Schützenfest. Zuerst darfst du Karussell fahren, und, wenn du brav bist, gibts anschließend noch Zuckerwatte oder eine Cola.«
Robert lächelte zufrieden und verschwand ins Wohnzimmer. Der grüne Filzhut sah auf meiner Garderobe, einer kultigen Darstellung des Kölner Doms, irgendwie deplaziert aus.
24
Ting! Der Schuß saß. Ein glatter Treffer. Ein ganzes Stück des rechten Flügels war in das hohe Gras unter der Vogelstange gefallen. Jetzt machte sich der nächste Schütze ans Werk. Die Schußabfolge ging ziemlich schnell. Ting! Daneben. Der Vogel zwinkerte nicht mal mit dem Auge. Insgesamt sah er noch recht stattlich aus, obwohl er nun schon seit über einer Stunde permanent beballert wurde. Die jungen Leute innerhalb des Vereins hatten bei der Fertigstellung dieses Ungetüms aus Holz und Leim offensichtlich ganze Arbeit geleistet. Inzwischen hatten sich aus einem Pulk von Schützen die meisten zurückgezogen. Nur noch sechs Männer wechselten sich unter der Vogelstange ab und versuchten, dem Geier dort oben den Garaus zu machen. Angefeuert durch jeweils ein Clübchen von Leuten, das wohl beim Königsschuß den Hofstaat stellen würde, verfolgten sie gespannt, ob der Vogel herunterfiel. Ting! Ein Treffer. Zum ersten Mal war jetzt das Vogelvieh als Ganzes ins Wanken geraten. Ein Raunen ging durch die Menschenmenge, die sich größtenteils an einem Glas Bier festhielt. Ich selbst hatte mir an diesem sonnigen Schützenfestmontag jeglichen Alkohol verboten. Bei diesen Temperaturen würde ich sonst wahrscheinlich schon um die Mittagszeit in den Seilen hängen. Robert neben mir hielt sich ebenfalls zurück. Gott sei Dank hatte er seinen giftgrünen Försterhut zu Hause gelassen. Ich hatte ihn überzeugen können, daß er sich damit keineswegs bei seinen sauerländischen Schützenbrüdern beliebt machen würde. Vielmehr hätte er sich höchstwahrscheinlich eine Menge Ärger aufgehalst, weil man sich in seiner Schützenehre gekränkt fühlte. Ting! Hurra! Da flog er, der Rest des Vogel, und landete auf der Wiese. Die Leute schrien und jubelten, der neue König riß die Arme hoch. Trotz aller Distanziertheit stellte ich fest, daß auch ich aufgeregt war. Von Robert ganz zu schweigen. Robert jauchzte, als dürfe er selbst sich jetzt eine Königin wählen. Die Leute schäumten über vor Begeisterung. Ich wußte, was jetzt kam. Ich hatte es in den letzten Wochen schon vielfach auf Fotos in der Tageszeitung betrachten können. Der König würde auf den Schultern seiner Mitbrüder in die Halle getragen werden. Kein leichtes Spiel das. Der neue König war ein bulliger Typ. Man mußte schon die richtigen Leute finden, um diesen 130 Kilo-Mann transportieren zu können. Es wäre zu peinlich, wenn beim Einmarsch in die Halle unter dem Jubel der Zuschauer die Träger zusammenbrächen. Da, jetzt ging es voran. Zwei kräftige Kerle stemmten den neuen König in die Höhe, und das Applaudieren und Rufen der Besucher fand einen neuen Höhepunkt. Im nachhinein muß ich sagen, es grenzte an ein Wunder, daß sich bei dieser ausgelassenen Stimmung jemand bemerkbar machen konnte.
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