Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
Vom Netzwerk:
zufrieden und trachtete danach, das Vorhandene wissenschaftlich aufzuarbeiten. Naville konnte sich tagelang in ein winziges Detail, eine scheinbar unbedeutende Hieroglyphe vertiefen. Während Petrie nach immer neuen Funden schürfte und unglücklich war über jeden erfolglosen Tag, betrachtete Naville neue Funde beinahe als Behinderung seiner Arbeit. Er sah seine Aufgabe nicht im Entdecken, sondern im Bewahren, und darin unterschied er sich von Carter.
    Eines Abends stand Howard am Fuße des Felsentempels und hielt den Kopf im Nacken. Sein Blick ging hinauf zu den schroffen, ockerfarbenen Gesteinswänden, die zu jeder Tageszeit anders aussahen. Es war still, aber bisweilen wurde die Stille von abbröckelnden Steinen unterbrochen, die von oben auf die Geröllhalde prasselten – so, wie das seit Jahrtausenden geschah.
    Um diese Zeit warfen die Vorsprünge in der Felswand dunkle Schatten, und an manchen Stellen formten sie riesige Fratzen oder die Leiber von Fabelwesen so groß wie ein vierstöckiges Haus. Howards Blick ging von einer Seite zur anderen, von unten nach oben. Jede Spalte, jede Welle, jeder einzelne Vorsprung fand sein Interesse und regte seine Phantasie an.
    Naville hatte Carter schon seit geraumer Zeit beobachtet und trat nun von hinten an ihn heran: »Ich glaube zu wissen, wonach Sie suchen, Mr. Carter. Aber wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, vergessen Sie’s!«
    Howard wandte sich um. »Seit ich hier bin, beschäftigt mich der Gedanke, ob nicht die Königin Hatschepsut irgendwo in den Felsen ein Grab anlegen ließ. Das wäre doch naheliegend. Finden Sie nicht auch?«
    »Dachte ich mir’s doch«, erwiderte Naville mit einem Schmunzeln. »Haben Sie einen Anhaltspunkt, der Ihre Vermutung rechtfertigt, einen Hinweis?«
    »Nein.« Howard hielt den Kopf noch immer nach oben gerichtet. »Ist meine Vermutung denn wirklich so absurd?«
    »Absurd? Keineswegs. Die ganze Archäologie ist eine Aneinanderreihung von Absurditäten. Und dieser Tempel ist der beste Beweis dafür. Natürlich bleibt es Ihnen unbelassen, die ganze Felswand nach einem geheimen Zugang abzusuchen, aber glauben Sie mir, Carter, das ist ebenso gefährlich wie sinnlos.«
    »Man müßte sich an einem Seil von oben herunterlassen und den Fels auf Hohlräume abklopfen.«
    »Und Sie glauben, Sie sind der erste, der diese Idee hat? Vor über zwanzig Jahren entdeckten die Brüder Abd-er-Rassul auf diese Weise den bisher größten archäologischen Schatz.«
    »Hier in dieser Felswand?« rief Howard ungläubig.
    Naville streckte den Arm aus: »Dort auf dieser Felsnase, etwa zwölf Meter von oben, stieß Ahmed, der älteste der drei Brüder, eines Tages auf ein mit losen Steinen verbarrikadiertes Loch. Man kann es weder von hier unten noch von oben einsehen. Ahmed fand es nur, weil er sich abseilte. Nachdem er die Steine, mit denen das Loch verschlossen war, entfernt hatte, tat sich vor ihm ein Gang auf, der in einer Linksbiegung siebzig Meter in den Fels führte bis zu einer Grabkammer. Und in dieser Kammer lagen die Mumien von vierzig Pharaonen aufgereiht. Unter ihnen Ramses, Sethos und der dritte Thutmosis, jeder mit einem Namensschild gekennzeichnet.«
    »Mein Gott!« stammelte Carter andächtig.
    »Ein ganzes Jahr«, fuhr Naville fort, »verschwiegen die drei Brüder ihre Entdeckung. Dann faßten sie den Entschluß, sie zu Geld zu machen. Sie weihten den Konsul Mustafa Aga Ayat, den größten Antikenschieber in Oberägypten, in ihre Entdeckung ein und verkauften mit seiner Hilfe über Jahre, Grabbeigaben, Goldschmuck und Ringe, die sie den Königsmumien von den Fingern rissen.«
    Carter war von Navilles Erzählung so beeindruckt, daß er keine Worte fand. Mit zusammengekniffenen Augen blickte er auf die dunkle Felswand, wo sich das Unfaßbare abgespielt haben sollte. »Eines verstehe ich nicht«, meinte er kleinlaut, »wie kamen die verschiedenen Könige alle in dieses Versteck, wo doch jeder von ihnen sein eigenes mit großem Pomp ausgestattetes Grab hatte?«
    »Kommen Sie!« Naville und Carter machten sich auf den Heimweg. Im Gehen beantwortete Naville Howards Frage: »Zum Glück fand man in dem Mumienversteck eine Nachricht. Demnach war das einsam gelegene Tal der Könige schon um 1200 vor Christus Ziel von Räuberbanden. Während der Regierung Ramses’ III. faßten deshalb die Amun-Priester einen Plan. Unter strenger Geheimhaltung ließen sie in jahrelanger Arbeit jenes unzugängliche Labyrinth in den Fels schlagen, und in einer perfekt

Weitere Kostenlose Bücher