Der König von Luxor
diese Pracht wie ein Armenhaus.
Lord Rockley half Alicia galant aus der Kutsche, und Lady Margaret kamen Zweifel, ob ihre schlichte Reisekleidung dem vornehmen Ereignis einer Bahnreise durch das Nildelta angemessen sei. Noblesse, wohin man schaute. Fahrkartenverkäufer in goldverzierter Livree kamen ihrer Aufgabe an Schaltern nach, wie man sie nur in der Bank of England kannte, und ihr würdevoller Gesichtsausdruck stand dem der Bankbeamten in keiner Weise nach. Ein Gepäckmeister mit weißen Handschuhen kümmerte sich um die Koffer der Reisenden, wobei es unter seiner Würde gewesen wäre, selbst Hand anzulegen. Er kommandierte eine Schar wichtelnder Lakaien in weißer Galabija.
Obwohl niemand den Grund kannte, herrschte große Aufregung. Verkäufer schoben Buffets auf Rädern durch die Halle und kündeten mit lauten Rufen von der Einmaligkeit ihrer Waren, Nüsse, Honigkuchen und Kringelgebäck. Ein einziger hätte genügt, den bescheidenen Andrang der Reisenden zu befriedigen, doch es gab mindestens fünf, die sich um die Gunst der Fremden bemühten, indem einer die Stimme des anderen zu übertönen versuchte.
Für sich und seine Familie hatte Lord Amherst ein Coupé erster Klasse, für Emily, Albert und das Gepäck ein solches dritter Klasse reserviert. Dort warteten Bänke aus Holz, während die Herrschaften sich auf samtigem Plüsch niederließen. Nur Europäer genossen den Vorzug, in gemischten Abteilen untergebracht zu werden, also Männer und Frauen gemeinsam. Ägypter reisten getrenntgeschlechtig, für Frauen gab es einen eigenen Waggon.
Überhaupt glich die Fahrt durch das vielarmige Nildelta bis Kairo, die für gewöhnlich einen halben Tag in Anspruch nahm, noch immer einem Abenteuer, weil nicht selten die Geleise unterspült, vom Wüstensand zugeweht oder durch die Gluthitze der Sonne verbogen waren.
Etwa in der Mitte zwischen Alexandria und Kairo, nahe dem Ort Kafr el Zayat, wo die Bahnlinie den breiten westlichen Nilarm kreuzte, begegnete den Reisenden ein Schauspiel besonderer Art. Die Geleise endeten abrupt am Ufer des Flusses. Aber nachdem zwei Schiffe die Stelle flußaufwärts passiert hatten, schwenkte von der Mitte des Nilarmes die Fortsetzung der Geleise ein, und die Eisenbahn konnte den Fluß überqueren.
Die von einem Engländer konstruierte Drehbrücke hatte unter dem Khediven Said Pascha fragwürdige Berühmtheit erlangt, und das kam so: Die Brüder Ahmed und Ismail, Neffen des Khediven Said, standen an erster und zweiter Stelle in der Thronfolge des Vizekönigs. Nach einem Familienfest in Alexandria machte sich die gesamte Verwandtschaft des Khediven mit einem Sonderzug auf die Heimreise nach Kairo, unter ihnen Ahmed, der Thronfolger. Nur einer fehlte: Ismail. Als sich die Eisenbahn der Drehbrücke näherte, öffnete sich diese wie von Geisterhand, und der Zug mit der vizeköniglichen Verwandtschaft versank im Nil. So wurde Ismail Khedive von Ägypten.
Wohlbehalten erreichten Lord Amherst und seine Familie Kairo, wo sie im »Shepheards« eine Zimmerflucht von fünf Räumen belegten, mit Blick auf den Nil und die Flußinsel Gesira. Nach dem abendlichen Dinner auf der Hotelterrasse, die von elektrischen Lampen in zauberhaftes Licht getaucht wurde, brachte der Ober auf einem Silbertablett eine Visitenkarte. Lord Amherst nahm sie entgegen und las: J. M. Cook – Thomas Cook, travel agents – Shepheards, Cairo.
»Ich lasse bitten!« erwiderte der Lord, und im nächsten Augenblick stellte sich ein vornehm englisch gekleideter Mann vor.
»Ich hörte von Ihrer Ankunft, Mylord, und daß Sie beabsichtigen, mit Ihrer Begleitung nach Oberägypten zu reisen. Es wäre die vornehmste Aufgabe meines Unternehmens, Ihre Reise bis in alle Einzelheiten zu organisieren.«
Lady Margaret blickte indigniert wie auf einen fliegenden Händler, der unverlangt seine Waren anbot, aber der Lord zeigte Interesse und stellte dem Engländer die Frage: »Sind Sie ein Nachfahre des berühmten Thomas Cook?«
»Um genau zu sein, ich bin sein Sohn. Mein Vater Thomas starb vor vier Jahren.«
»Ich weiß«, erwiderte Amherst, »alle Zeitungen waren voll davon. Ihr Vater hat, mit Verlaub, ja das Reisen erfunden.«
»Mylord sind sehr freundlich. Aber Ihre Bemerkung ist nicht verkehrt. Sogar Könige und Potentaten reisen heute mit Gutscheinen von Thomas Cook. Taufik Pascha machte da keine Ausnahme.«
Alicia, die das Gespräch gespannt verfolgte, sah Ihren Vater fragend an: »Kann mir vielleicht jemand erklären, was
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