Der König von Luxor
Grabungshaus, das etwa eine halbe Meile entfernt lag. »Dort lagen ein paar hundert Steinreliefs, zum Teil riesige Blöcke mit Texten und Darstellungen aus dieser Zeit. Sie geben Aufschluß über das Leben des Pharaos Echnaton. Verkäuflich sind sie allerdings nicht, schon wegen des Gewichts und ihrer Größe.«
Amherst nickte einsichtig. »Aber Sie haben noch nicht meine Frage beantwortet. Warum graben Sie gerade hier?«
»Intuition«, entgegnete der Deutsche listig, »vielleicht auch Glück. Wie es scheint, bin ich durch Zufall auf die 3000 Jahre alte Werkstatt eines Bildhauers gestoßen. Nur so ist zu erklären, warum gerade hier so bedeutende Skulpturen ans Tageslicht gekommen sind.«
Dieser Brugsch, dachte Amherst, ist wirklich mit allen Wassern gewaschen. Es war beinahe unmöglich, ihm beizukommen, und er mußte froh sein, wenn Brugsch die Funde wirklich ablieferte. Um jedes Risiko zu vermeiden, sagte er: »Mr. Brugsch, Sie werden mich jetzt zu meiner Dahabija begleiten. Wir werden gemeinsam nach Minia segeln und beim Mudir die Statuen abholen, die Sie ausgegraben haben. Einverstanden?«
Brugsch zögerte, denn vermutlich hatte er längst einen anderen Plan gefaßt, wie er Lord Amherst trotz allem betrügen konnte. Aber als er die unnachgiebige Haltung Seiner Lordschaft erkannte, erwiderte er blasiert: »Wenn es denn sein muß.«
Die Antwort machte Amherst wütend. »Hören Sie, Brugsch, ich kann Sie auch verklagen! Dann erwartet Sie eine gehörige Strafe, und Ihren Posten in Kairo sind Sie obendrein los.«
»Nur das nicht!« entgegnete Brugsch. »Also gehen wir!« So gelangte Lord Amherst unerwartet und ohne sein Zutun in den Besitz einiger außergewöhnlicher Funde, darunter zwei Statuen von Echnaton und Nofretete. Sie wurden die Prunkstücke seiner Sammlung.
Seit ein paar Tagen hatte Howard Carter ein Maultier, Sir Henry mit Namen. Natürlich war das nicht sein ursprünglicher Name, aber der klang so unverständlich und unaussprechlich für einen Engländer, daß Howard das Grautier kurzentschlossen umtaufte, nachdem er es auf dem Viehmarkt in Luxor erstanden hatte.
Sir Henry hatte einen Stall nahe der Anlegestelle am westlichen Nilufer und war Carter auf dem langen Weg nach Der-el-Bahari dienlich und trug ihn tagsüber, wenn Howard die Arbeiter an den verschiedenen Grabungsstellen einteilte, von Ort zu Ort. Wie alle Maultiere zeichnete sich Sir Henry durch die Schnelligkeit eines Pferdes, gepaart mit der Ausdauer eines Esels, aus, ohne dessen sprichwörtlichen Starrsinn für sich in Anspruch zu nehmen.
Wie an jedem Morgen trabte Carter auf »Sir Henrys« Rücken vom Nil landeinwärts in Richtung des Grabungshauses und von dort wieder zum Tempel der Hatschepsut, als das Maultier plötzlich, keine halbe Meile vor dem Ziel, mit den Vorderläufen einknickte und zu Boden ging. Carter schlug einen Purzelbaum und landete, zum Glück unverletzt, im Sand.
»He, wohl noch nicht ganz wach heute, Sir Henry«, rief Howard und klopfte sich den Staub aus der Kleidung. Da entdeckte er im Boden ein schwarzes Loch, etwa zwei Handteller im Durchmesser. Sand, den er mit dem Fuß in das Loch schaufelte, verschwand lautlos. Ebenso ein faustgroßer Stein.
»Mein Gott«, stammelte Howard und tätschelte Sir Henrys Hals, »mir scheint, du bist von uns beiden der bessere Ausgräber.«
Howard war aufgeregt, er schwang sich auf den Rücken des Maultiers und nahm den Weg zurück zum Grabungshaus. Dort kam ihm Naville entgegen. »Sir«, rief Howard von weitem, »ich glaube, ich habe eine Entdeckung gemacht. Kommen Sie mit!«
Nachdem Naville das Erdloch auf den Knien in Augenschein genommen und seine Lage nach allen Seiten hin geprüft hatte, sagte er zunächst einmal nichts. Unschlüssig und stumm starrte er in die Öffnung, dann schüttelte er den Kopf und erhob sich.
»Was meinen Sie, Sir?« fragte Howard ungeduldig.
»Das Leben steckt voller Überraschungen«, erwiderte Naville. »Ich habe diese Stelle gewiß hundertmal überquert. Dabei ist mir nie etwas aufgefallen. Gratuliere, Mr. Carter! Wir sollten die Stelle markieren und das Loch wieder verschließen.«
»Wie bitte?« Carters Stimme hallte durch den Talkessel. »Sagten Sie verschließen, Sir?«
»Ja, verschließen. Irgendwann werden wir sicher Gelegenheit finden, der Sache nachzugehen.«
Navilles Gelassenheit brachte Carter in Rage: »Sir, vielleicht habe ich einen bedeutsamen Schatz entdeckt. Vielleicht stehen wir über dem Grabeingang des vergessenen
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