Der König von Luxor
glich das Grabungsareal einem Feldlager. Diener und Lakaien aus den Hotels am anderen Nilufer brachten in Körben und Kannen das Frühstück für ihre Gäste. Esel schafften Fässer mit Wasser herbei. Mit Leinentüchern wurden Wände gespannt, um den vornehmen Herrschaften die Morgentoilette samt anstehender Bedürfnisse zu ermöglichen. An einen ernsthaften Fortgang der Arbeiten war nicht mehr zu denken.
Carter überlegte, was zu tun sei, und faßte einen ungewöhnlichen Entschluß. Er kletterte auf ein Wasserfaß und hielt eine Ansprache: »Ladys and Gentlemen! Das Interesse, welches Sie unserer Arbeit entgegenbringen, ehrt uns und wird uns Ansporn sein für unsere weiteren Aufgaben. Obwohl wir alle keine Ahnung haben, was uns hinter diesem steinernen Portal erwartet, dürfen wir guter Hoffnung sein, eine bedeutsame Entdeckung gemacht zu haben!«
Die Umstehenden applaudierten, einige riefen: »Bravo!« und warfen ihre Kopfbedeckungen in die Luft. Ein paar Engländer, die trotz früher Morgenstunde bereits dem Alkohol zugesprochen hatten, versuchten unter Aufbietung ihrer verrosteten Stimmen »God save the Queen« zu intonieren, aber das Vorhaben mißlang kläglich.
»Aber gerade weil es sich um eine bedeutsame Entdeckung handelt«, fuhr Carter in seiner Rede fort, »dürfen wir diese Mauer nicht einfach einreißen und uns wie Räuber in einer Schatzkammer bedienen. Es bedarf der Zeugenschaft wichtiger Fachleute aus Kairo. Bis diese hier eintreffen, werden wir den Zugang aus Sicherheitsgründen wieder aufschütten. Die Öffnung wird in der nächsten Woche erfolgen und in den Hotels durch Anschlag bekanntgegeben.«
Auf sein Zeichen begannen die Arbeiter mit dem Zuschütten des Eingangs. Über hundert Schaulustige zogen sich enttäuscht zurück.
Mit Briefen und Telegrammen lud Carter den zuständigen Kulturminister, die Herren der Altertümerverwaltung, den Mudir der Provinz, den Nasir von Luxor und eine Reihe Ausgräber aus England, Frankreich und Deutschland, die sich in der Gegend aufhielten, zur Öffnung des Grabes ein. Eine besondere Einladung erging an Lady Elizabeth Collingham, Hotel Luxor, Luxor.
Als Carter am folgenden Tag in seine Pension zurückkehrte, fand er eine Nachricht von Lady Elizabeth vor, die ihn bat, mit ihr gegen sieben im »Luxor« zu dinieren. Er sah keinen Grund, die Bitte der schönen Lady abzuschlagen, und nachdem er sich im Badezimmer des »Maamura Palace«, es gab nur eines für alle Zimmer, und das lag im Hinterhof unter freiem Himmel, nachdem er sich dort gereinigt und seinen Anzug vom Staub befreit hatte, begab er sich gutgelaunt zum Hotel an der Uferstraße, wo ihn die Lady in der plüschigen Eingangshalle erwartete.
»Ich wußte, daß Sie meine Bitte nicht abschlagen würden«, empfing ihn Elizabeth.
Ein wenig schämte er sich, wie er der äußerst geschmackvoll gekleideten Dame gegenübertrat. In seinem abgetragenen Anzug konnte er wirklich keinen Staat mehr machen; aber die Herrenausstatter in den Kolonnaden des Hotels »Winter Palace« verlangten fünf bis zehn Pfund für einen Anzug. Das war ein Monatsgehalt. In Anbetracht der bevorstehenden Ereignisse faßte Howard jedoch den Entschluß, sich neu und dem Ansehen eines Entdeckers angemessen einzukleiden.
»Man hört erstaunliche Dinge über Sie«, begann Lady Elizabeth, während sie sich dem vorzüglichen Lammbraten zuwandten. Er duftete herb nach Knoblauch und Rosmarin.
»So, erzählt man das?« erwiderte Carter, und sein Bemühen, die Sache herunterzuspielen, blieb Elizabeth nicht verborgen.
»Stimmt es, daß Sie den Eingang wieder zugeschüttet haben?« fragte sie interessiert. »Das ist doch verrückt, wenn Sie ihn in ein paar Tagen wieder öffnen wollen. Oder nicht?«
Carter lachte. »Lady Collingham…«
»Elizabeth!«
»Lady Elizabeth…«
»Elizabeth!«
»Elizabeth, natürlich ist es verrückt; aber es war die einzige Möglichkeit, den Ansturm der Neugierigen zu bändigen. Sie können sich das nicht vorstellen. Es gab Leute, die haben vor dem Grabeingang ihr Nachtquartier aufgeschlagen und Essen und Trinken aus den Hotels jenseits des Nils kommen lassen!«
»Und Sie sind sicher, das Grab eines Pharaos gefunden zu haben?«
»Ziemlich sicher, auch wenn Dr. Naville anderer Ansicht ist.« Er neigte sich zu Elizabeth hinüber. »Ich glaube, er gönnt mir meinen Erfolg nicht. Aber das kennt man ja. Ausgräber verhalten sich wie Hund und Katze. Mein früherer Lehrmeister Flinders Petrie ließ an Naville kein
Weitere Kostenlose Bücher