Der König von Luxor
Augenblick war er wie von Sinnen, glaubte, er stürze zu Boden, fühlte, wie sein Bewußtsein schwand, und kam erst wieder zu sich, als Weigall sich seiner erwehrte, weil er, Carter, sich an ihn klammerte und rief: »Das ist nicht wahr! Sagen Sie, daß es nicht wahr ist!«
»Mr. Carter! Bitte erregen Sie kein Aufsehen! Ich will Ihnen alles erklären!«
Howard war nicht zu besänftigen: »Hat er den Pharao gefunden oder nicht?«
Da begann Weigall zu erzählen: »Anfang des Jahres stießen wir im Tal der Könige auf eine unscheinbare Gruft, eigentlich nur ein Schacht ohne Verzierungen oder Beschriftungen. Er lag acht Meter unter der Oberfläche und war bis zur Decke mit Schlamm gefüllt, den Sickerwasser im Lauf der Jahrtausende angeschwemmt hatte. Wir brachten den getrockneten Schlamm nach oben, siebten ihn in wochenlanger Arbeit, aber das einzige, das wir fanden, waren Bruchstücke eines Kästchens mit mehreren Goldplättchen. Zwei davon trugen die Namensringe Tut-ench-Amuns und seiner Frau Anches-en-Amun.«
»Das bedeutet gar nichts!« rief Carter in höchster Erregung.
»Ein paar Tage später«, fuhr Weigall fort, »entdeckten wir wenige Schritte entfernt eine Grube mit tönernen Krügen, vertrockneten Blumen und Girlanden und einer Anzahl Säckchen mit Natron. Der Inhalt der Krüge war Schutt, nichts als Schutt. Aber einer war in ein Tuch gehüllt, und dieses Tuch trug den Namen Tut-ench-Amuns und die Datumsangabe ›Jahr 6‹. Und in diesem Krug befanden sich kostbarer Schmuck aus Gold, Ringe und Armspangen mit eingelegtem Email, polierte Spiegel und Salbgefäße aus blauer Fayence. Für Davis war damit klar, daß die Gruft Tut-ench-Amuns Grab gewesen sein mußte, daß das Grab ausgeraubt wurde und daß die Räuber alles, was sie nicht mehr tragen konnten, in der Grube zurückließen, um es vielleicht später abzuholen.«
Carter faltete die Hände, und mit mitleidsvoller Miene sagte er: »So, so. Das behauptet dieser gescheite Mr. Davis. Er hat doch mit Kupfer gehandelt – wenn ich mich recht erinnere! Warum, um Himmels willen, ist er nicht dabei geblieben? Tut-ench-Amun will er gefunden haben! Daß ich nicht lache! Wenn er sich seiner Sache so sicher ist, warum soll seine Entdeckung dann geheim bleiben?«
»Das will ich Ihnen sagen. Theodore Davis wollte unbedingt den Schmuck für sich behalten. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als den gesamten Fund zu verschweigen – auch wenn es sich dabei um das Grab Tut-ench-Amuns handelte.«
»Dieser Spinner! Aber es wird ihm nicht gelingen, den Schatz außer Landes zu schaffen!«
»Da muß ich Sie enttäuschen, Mr. Carter. Es ist ihm bereits gelungen. Davis hat die Pretiosen in seinen Reisekisten verschwinden lassen, die bereits auf dem Weg nach New York sind.«
»Und mit diesem Mann habe ich jahrelang zusammengearbeitet!« Howard schüttelte den Kopf. »Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin zu anständig für dieses Gewerbe. Aber sagen Sie mir eines, glauben Sie auch, daß es sich um das Grab des vergessenen Pharaos handelt?«
Weigall verzog das Gesicht, als sei es ihm unangenehm, auf diese Frage zu antworten. Dann meinte er: »Um ehrlich zu sein, anfangs war ich selbst davon überzeugt, Tut-ench-Amuns letzte Ruhestätte gefunden zu haben. Schließlich trugen einige Grabbeigaben seinen Namen. Aber je länger ich darüber nachdachte, desto mehr wuchsen meine Zweifel. Gewiß, man könnte vermuten, dieser Pharao sei absolut bedeutungslos gewesen, folglich habe man ihm auch nur ein dürftiges Grab errichtet, eines ohne besondere Ausstattung. Aber dagegen spricht der kostbare Schmuck, den wir gefunden haben. Mr. Carter, ich habe noch nie etwas so Prachtvolles gesehen!«
»Und der Sarkophag? Ich meine, wie sah er aus? War er kunstvoll gefertigt oder eher nachlässig und ohne hohen Anspruch?«
»Sarkophag? Es gab keinen Sarkophag. Nein, der Schacht wäre zu klein gewesen für einen Sarkophag.«
»Dann, Mr. Weigall, handelte es sich auch nicht um ein Pharaonengrab. Es gibt in der Geschichte des alten Ägypten keinen einzigen Pharao, der ohne Sarkophag bestattet worden ist. Selbst wenn die Mumie geraubt worden wäre, den Sarkophag hätten die Räuber zurückgelassen. Nein, Davis wird mich nicht von meiner Überzeugung abbringen, daß das Grab Tut-ench-Amuns noch immer nicht gefunden ist.«
Mit einem flüchtigen Händedruck verabschiedete sich Carter und begab sich in den dunklen Park des Hotels, wo er sich auf einer Bank niederließ und in die Wipfel der
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