Der König von Luxor
waren, wagte ein Wort zu sprechen. Alle schienen allein mit der Frage beschäftigt: Was verbirgt sich hinter dieser Mauer?
Vor über dreitausend Jahren war diese Mauer verschlossen worden. Mehr als dreitausend Jahre hatte kein Mensch einen Blick hinter diese Wand geworfen. Die Zeit schien stillzustehen, und die meisten fühlten sich wie Eindringlinge.
Scheinwerfer flammten auf. Wie in Trance begann Howard die Arbeit mit Hammer und Meißel, vertauschte sein Werkzeug schon bald mit einer Eisenstange und griff erneut auf Hammer und Meißel zurück. Mit bloßen Händen hob er Gesteinsbrocken aus der oberen Hälfte der Mauer und reichte sie zwei Arbeitern, die mit Körben bereitstanden. Befremdend und störend wirkten die Hammerschläge in der beklemmenden Atmosphäre. Selbst der Lord, der im Zustand der Aufregung gerne zu scherzen pflegte, schwieg mit zusammengepreßten Lippen.
Da – Carter hatte den Durchbruch geschafft. Wie damals, vor wenigen Wochen, als er die Mauer zur Vorkammer öffnete, hielt er eine brennende Kerze vor das erste Mauerloch. Die Flamme flackerte kaum, und Carter nahm seine Arbeit wieder auf. Als er drei Mauersteine entfernt hatte, gab er Callender ein Zeichen, einen Scheinwerfer näherzubringen, damit direkter Lichtschein in das Innere fiel.
Callender kam Howards Aufforderung nach, und noch während er die Beleuchtung zurechtrückte, stieß Evelyn einen Schrei aus: »Mein Gott, Papa!« Die übrigen reckten die Hälse: Eine Wand aus purem Gold blitzte, funkelte, leuchtete ihnen entgegen.
Zufrieden schmunzelnd trat Carter zur Seite. Er warf dem Lord einen Blick zu, der einer gewissen Selbstherrlichkeit nicht entbehrte – so als wollte er sagen: Nun, Mylord, was sagen Sie jetzt? Aber Carter schwieg, ging wieder an die Arbeit und gab sich erst zufrieden, als er einen respektablen Mauerdurchlaß freigelegt hatte.
Genußvoll sog Howard Carter den Anblick des Goldes in sich auf, aber nicht minder genoß er die Bewunderung, die ihm entgegenschlug.
Eine plötzliche Unruhe erfaßte die Anwesenden. Was hatte es mit der goldenen Wand auf sich?
Mit einer einladenden Handbewegung bedeutete Carter, der Lord möge ihm folgen. Dann stieg er durch das Mauerloch in das Innere. Im Schein einer elektrischen Lampe sah er, daß es sich bei der Wand aus Gold um die Längsseite eines übermannshohen Schreins handelte, der mit Hieroglyphen und kunstvollen Reliefs aus der Menschen- und Götterwelt übersät war, eine goldene Welt für sich, mit Szenen aus dem Leben zwischen Himmel und Erde.
Zwischen dem Schrein und den Wänden der unterirdischen Kammer war nicht mehr als zwei Fuß Platz, gerade soviel, daß sich ein Mann von normalem Körperbau hindurchzwängen konnte. Einem unerklärlichen Drang folgend und von Neugierde getrieben, nahm Howard den engen Weg rechter Hand und hoffte, nach Umrundung des Schreins wohlbehalten an seinen Ausgangspunkt zurückzukehren. Während den Lord schon nach wenigen Schritten der Mut verließ, schritt Carter seitwärts voran, die Lampe abwechselnd zur Decke und auf den Boden gerichtet, vorbei an Göttergestalten, halb Mensch, halb Tier, mit stechenden Augen aus blauem Email und geheimnisvollen Symbolen.
Auf der Rückseite angelangt, bekam Howard kaum Luft. Es schien, als würde der schmale Gang noch schmaler. Zweifelnd, ob er sich nicht doch zu weit vorgewagt hatte, hielt er inne, überlegte schon umzukehren, doch dann gab er sich einen Ruck und zwängte sich durch die letzte Engstelle, umrundete eine Ecke des Schreins und stand unerwartet vor einer goldenen Flügeltüre, die mit einem einfachen Riegel verschlossen war.
Hier, an der Schmalseite des goldenen Schreins, war so viel Platz, daß Carter darangehen konnte, die Flügeltüren zu öffnen. Problemlos ließ sich der Riegel zur Seite schieben. Behutsam, ja ängstlich, weil er nicht wußte, was ihn erwartete, öffnete Howard die Türen. Sie verursachten ein mahlendes Geräusch; kein Knarren, kein Quietschen, nur das Schleifen von Holz auf Holz war zu vernehmen.
Natürlich hatte sich Carter Gedanken gemacht, was ihn hinter der Flügeltüre erwarten würde; doch daran, daß er dahinter auf eine zweite Flügeltüre stoßen würde, hatte er zu allerletzt gedacht. Er öffnete auch diese mit der gleichen Sorgfalt wie die erste – und wieder stieß er auf eine Türe, die zu einem weiteren Schrein gehörte. Vier Türen von vier ineinander verschachtelten Schreinen führten zu einem Steinsarkophag, in dem die Mumie des Pharaos
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