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Der König von Luxor

Der König von Luxor

Titel: Der König von Luxor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Vandenberg
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verborgen sein mußte.
    Andächtig und in sich gekehrt kam Carter in die Vorkammer zurück, wo ihn dreißig Augenpaare fragend und erwartungsvoll anstarrten. Mit einer hilflosen Geste hob Howard stumm beide Hände, als wollte er sagen: Ich kann es einfach nicht beschreiben. Und keiner der Anwesenden wagte eine Frage zu stellen.
    Nach einer Weile, während der Carter, an die Wand gelehnt, nachdenklich auf den Boden gestarrt hatte, richtete er den Blick auf die Zuschauer und sagte: »Er ist es, Pharao Tut-ench-Amun.«
    Mit einem Mal entlud sich die Anspannung, die sich unter den geladenen Gästen aufgestaut hatte, sie schrien vor Begeisterung, jubelten und klatschten Beifall, und einige stürzten nach oben ins Freie, um die Sensation zu verkünden. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht vom Tal der König nach Luxor und von dort in alle Welt: Howard Carter hatte Pharao Tut-ench-Amun in seinem Grab gefunden.
    Noch wußte niemand, wie der geheimnisvolle König aussah. Aber die Kunde, daß Carter auf den unversehrten Sarkophag des Königs gestoßen war, genügte, ihn als den größten Entdecker aller Zeiten und den berühmtesten Mann der Welt zu feiern. Von New York bis Los Angeles, von Tokio bis London, alle großen Zeitungen der Welt widmeten Carter ihre erste Seite. Ihn gesehen, mit ihm gesprochen oder gar mit ihm diniert zu haben, galt als Sensation, aber die Möglichkeit wurde nur wenigen Auserwählten zuteil. Denn Howard machte sich rar. Und je mehr er sich aus der Öffentlichkeit zurückzog, desto hysterischer reagierten die Menschen auf sein Erscheinen. Der König von Luxor konnte seine Suite im »Winter Palace« kaum verlassen, ohne von einer unüberschaubaren Menschenmenge bejubelt, bedrängt und belästigt zu werden. Hunderte belagerten das Hotel, nur um einen Blick auf den berühmtesten Ausgräber zu erhaschen, so daß Carter es sich zur Gewohnheit machte, das Hotel durch einen Seiteneingang zur Wäscherei zu verlassen.
    Zwischen Carnarvon und Carter wurde die Stimmung zunehmend gereizter. War es Arthur Merton anfangs noch gelungen, Seine Lordschaft ins rechte Licht zu rücken, so verblaßte sein Ruhm sehr schnell, weil die ausländischen Zeitungen, die seine Berichte nachdruckten oder als Grundlage eigener Geschichten benutzten, Carter den Vorzug gaben.
     
     
    Wenige Tage nach Howards größtem Triumph trafen Schwester Amy, Schwager John und seine Nichte Phyllis in Luxor ein. Die einzige Möglichkeit für ein ungestörtes Gespräch gab es in Howards Hotelsuite.
    John, der Verleger, war Howard bisher nicht gerade mit großer Zuneigung begegnet, nun überschlug er sich vor Bewunderung und beteuerte in jedem zweiten Satz, wie stolz er sei, einen weltberühmten Mann zum Schwager zu haben.
    Was Phyllis, Carters Nichte, betraf, so war sie von einnehmendem Äußeren, groß, schlank und mit einem ebenmäßigen Gesicht. Sie war sich ihrer Schönheit durchaus bewußt und unterstrich ihr attraktives Äußeres durch eine modische Kurzhaarfrisur und extravagante Kleidung. Trotz dieser Vorzüge und obwohl sie gerade zwanzig und damit im heiratsfähigen Alter war, verhielt sie sich Männern gegenüber seltsam abweisend. Ihr Hauptinteresse galt der Frauenrechtsbewegung, und ihr Idol war Emmeline Pankhurst. Eher widerwillig hatte sie ihre Eltern nach Luxor begleitet, und nun nörgelte sie seit Tagen an den ägyptischen Verhältnissen herum, dem Schmutz allerorten, dem unbekömmlichen Essen und der Hitze tagsüber. »Ja und?« fragte sie herausfordernd. »Wann bekomme ich endlich den alten Pharao zu sehen?«
    »Schweig!« fiel Amy ihrer aufsässigen Tochter ins Wort. Und an Howard gewandt meinte sie: »Du mußt entschuldigen, aber das Kind ist gerade in einem dummen Alter.«
    »Ich möchte nicht dauernd als Kind bezeichnet werden, Mama«, entgegnete Phyllis empört, »was soll Onkel Howard von mir denken!«
    »Um deine Frage zu beantworten«, lenkte Howard ein, »du solltest einmal aus dem Fenster sehen, Phyllis!«
    Phyllis warf ihrem Onkel einen trotzigen Blick zu und trat ans Fenster. Als sie den Vorhang bewegte und nach draußen blickte, brach vor dem Hotel aufgeregtes Geschrei aus. Photoapparate wurden auf sie gerichtet, und Sprechchöre erschallten: »Carter, Carter, Carter!« Erschreckt wich Phyllis zurück.
    »Siehst du«, bemerkte Howard, »das ist der Preis der Berühmtheit. Fünfzehn Jahre habe ich hier gelebt, ohne daß irgendjemand von mir und meiner Arbeit Notiz nahm. Auf einmal hat sich alles

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