Der König von Luxor
Phyllis die Frage stellte: »Wo sind wir eigentlich?«
Dann erwiderte Phyllis: »In Cleveland, Detroit oder Buffalo«, aber eigentlich spielte das keine große Rolle, weil der Tagesablauf in allen Städten der gleiche war: Interviews, Besuche bei den Honoratioren der Stadt, ein oder mehrere Vorträge, zurück zum Hotel oder Schlafwagen.
In Chicago kam es zu einem Eklat. Als Howard in Begleitung von Keedick und Phyllis ins Hotel »Four Seasons« zurückkehrte, trat ihm ein Mann in den Weg. Er trug einen schwarzen Anzug mit feinen Nadelstreifen, sein Haar glänzte dunkel, und die Oberlippe zierte ein ebenso dünnes wie breites Bärtchen. Auf dem Kopf trug er einen schwarzen Hut mit breiter Krempe.
»Mr. Carter, auf ein Wort!« sagte der Unbekannte mit aufgesetztem Lächeln und griff in die Innenseite seines Jacketts.
»Was wollen Sie?« fragte Howard mürrisch. »Ich bin müde. Lassen Sie mich in Ruhe.«
Da zog der schwarze Mann ein glitzerndes Etwas aus der Jackentasche hervor, einen Anhänger aus Gold, handtellergroß mit der Himmelsgöttin Nut in Gestalt eines Geiers und darüber die Königsringe mit dem Thronnamen Tut-ench-Amuns. Howard erkannte sofort, daß es sich bei dem Schmuckstück um ein Objekt aus dem Grabschatz des Pharaos handelte.
»Woher haben Sie das?«
Auch wenn er sich Mühe gab, ruhig zu bleiben, Phyllis bemerkte Howards innere Erregung.
»Ich will wissen, wie das Schmuckstück in Ihren Besitz gelangt ist«, wiederholte Carter, diesmal in heftigerem Ton.
»Und ich will wissen, ob dieser nette Anhänger echt ist, Mr. Carter!« Der Fremde ließ den Schmuck provozierend vor Howards Nase baumeln.
»Das Stück ist gestohlen!« fauchte Carter wütend. »Ich werde die Polizei verständigen.«
Der schwarzgekleidete Mann grinste überlegen. »Das steht Ihnen frei, Mr. Carter, aber ich habe das Schmuckstück von einem Händler gekauft, mit Rechnung und Zertifikat, Sie verstehen. Soll ein Geschenk sein, für meine – Sie wissen schon. Was mich interessiert, ist nur, ob ich nicht einer Fälschung aufgesessen bin. Ich mußte eine anständige Summe löhnen, um es zu bekommen.«
»Sie haben kein Recht, dieses Stück zu besitzen. Es ist Diebesgut und auf dem schwarzen Markt nach Amerika gelangt!«
Zynisch hob der Unbekannte die Schultern und zwinkerte mit dem rechten Auge. »Und wenn es so wäre? Ich habe es für viel Geld erworben, Mister!«
Aufgebracht griff Carter nach dem Schmuckstück, um es dem Fremden zu entreißen. Doch der ließ es blitzschnell verschwinden. Zornentbrannt holte Carter aus und versetzte dem Kerl eine Ohrfeige. Blitzlichter flammten auf. Im nächsten Augenblick war der Fremde mit dem Schmuckstück verschwunden.
In den Zeitungen wurde der Vorfall breitgetreten, und man rätselte nach dem Grund für die Auseinandersetzung der beiden Männer, stellte abenteuerliche Theorien auf, bat Carter um eine Stellungnahme.
Sollte er sagen, daß der selige Lord Carnarvon sich gegen seinen, Carters, Willen am Grabschatz bereichert, daß er sich der Hilfe dieses Gauners Robert Spink bedient hatte, um unwiederbringliche Kostbarkeiten aus dem Grabschatz zu Geld zu machen, um seine Investition wieder hereinzubekommen?
Schließlich zog Carter es vor zu schweigen.
Howard erlebte seine Tournee durch den Osten Amerikas wie in Trance. Es schien, als habe für ihn ein neues Leben begonnen, nein, es schien nicht nur so, es war wirklich ein neues, anderes Leben. Nicht nur, daß er in wenigen Wochen mehr Geld verdiente als in seinem ganzen Ausgräberleben. Seine Popularität war inzwischen so groß, daß sogar Berühmtheiten um seine Gunst buhlten und sich in seinem Glanz sonnten.
In Washington trat Carter im Nationaltheater auf, das für gewöhnlich amerikanischen Klassikern vorbehalten blieb. Der Erfolg übertraf alle Erwartungen. Nach dem Vortrag wurde Howard vor dem Theater von Tausenden von Menschen belagert, die keine Karten bekommen hatten.
Carter erschrak, als er mit Phyllis auf die Treppen des Theaters trat und die Menschen zu schreien, zu toben, zu rasen begannen. »Carter! Carter! Carter!«
Phyllis neigte den Kopf zu Howard und rief ihm – nur so konnte man sich überhaupt verständigen – ins Ohr: »Glaubst du jetzt endlich, daß du der berühmteste Mann der Welt bist?«
Mißfällig verdrehte Howard die Augen: »Ich habe den Eindruck, dir bereitet das mehr Vergnügen als mir. Als ich noch der unbedeutende Ausgräber aus Luxor war, den keiner kannte, da konnte ich mich
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