Der König von Luxor
zynischen Tonfall annahm, von unten an, ob er es auch wirklich ernst meinte, aber dann erkannte er die Ernsthaftigkeit seiner Worte, und er atmete auf.
Erleichtert trat er wenig später vor das Herrenhaus, wo ihn die Schwüle des zu Ende gehenden Tages empfing. Vom Weiher her drang das Geschrei der Frösche. Es roch nach Heu und trockenem Schilf. Howard holte sein Fahrrad aus der Remise und wollte es gerade besteigen, als sich im Obergeschoß ein Fenster öffnete und Alicia den Kopf herausstreckte. »He«, rief sie, »warte!«
Kurz darauf erschien Alicia in ungewohnter Kleidung. Sie trug eine schneeweiße Bluse und einen halblangen Rock, der ihr bis über die Waden reichte. Darunter ragten rote Stiefeletten hervor. Am verblüffendsten aber war der breite Hut, den Alicia mit einem duftigen weißen Schal um das Kinn festgebunden hatte.
»Ich werde abgeholt«, lachte Alicia und verdrehte dabei die Augen, als wollte sie sagen: Wenn’s denn sein muß.
Howard hatte sich schon in dem Glauben gewiegt, Alicia habe sich für ihn so herausgeputzt. Jetzt war er doch etwas enttäuscht, wenngleich es ihm kaum besondere Freude bereitet hätte. »Ich dachte schon, du wolltest mit mir einen Ausflug mit dem Fahrrad machen. Kannst du überhaupt Velociped fahren?«
Alicia hob die Schultern. »Albert wollte es mir einmal beibringen. Aber der Lehrgang endete an einem Meilenstein.« Dabei streifte sie ihren Rock über das rechte Knie und zeigte auf ihre Kniescheibe, die deutliche Spuren einer mehrere Jahre zurückliegenden Verletzung trug. »Seither habe ich mich nicht mehr auf so ein Teufelsgefährt gesetzt!« rief Alicia und ließ ihr Knie wieder unter dem Rock verschwinden.
Von der Einfahrt her näherte sich ein Hansom-Cabriolet in flotter Fahrt. Der Kutscher hielt den Gaul am strammen Zügel und bog, ohne seine Fahrt zu verlangsamen, auf den Kiesweg vor dem Haupteingang ein. Mit einem lauten Ruf brachte er sein Gefährt zum Stehen, wobei sich das gezügelte Pferd aufbäumte.
Carter traute seinen Augen nicht, als der Kutscher aus dem Wagen sprang: Es war Spink, Robert Spink, der Fabrikantensohn aus Swaffham.
Spink erschrak nicht weniger als Howard, und die Begegnung war ihm sichtlich peinlich. Und noch bevor Alicia in ihrer Unwissenheit die beiden Widersacher einander vorstellen konnte, rief Howard: »Spink, du tauchst aber auch immer an Orten auf, an denen man jeden erwarten würde, nur dich nicht!«
»Das gleiche könnte ich von dir behaupten, Carter!« erwiderte Spink verlegen.
»Dann tu’s doch! Hast ja sonst keine Hemmungen, was dein loses Mundwerk betrifft.«
Alicia verfolgte die Auseinandersetzung der beiden Kampfhähne eher amüsiert, kannte sie diese Haltung doch bei keinem von beiden.
»Mir scheint, ihr seid euch nicht unbekannt«, bemerkte das Mädchen trocken, und nach einer Pause fügte es fragend hinzu: »Ihr mögt euch wohl nicht besonders?«
»Kann man sagen«, erwiderte Carter, ohne Spink aus den Augen zu lassen. »Wie konntest du nur an einen Fiesling wie diesen Spink geraten? Er ist ein Lügner und Betrüger und hinterhältig wie ein Luchs.«
Da griff Spink zu seiner Peitsche, und wäre Alicia nicht mit ausgebreiteten Armen dazwischengegangen, Spink hätte auf Carter eingeschlagen. So wütend war er.
»Seid ihr von allen guten Geistern verlassen?« rief Alicia aufgeregt. »Ihr werdet euch doch nicht prügeln wie zwei Dockarbeiter!«
Carter drehte sich verächtlich zur Seite und zeigte mit dem Daumen auf Spink: »Prügel sind die einzige Sprache, die er versteht. Das einzig Bemerkenswerte an dieser armseligen Kreatur ist das Geld seines Vaters.« Und an das Mädchen gewandt: »Du solltest dir zu schade sein, mit einem wie dem Umgang zu pflegen.«
»Aber mit diesem Taugenichts erst recht nicht!« rief Spink aufgeregt. »Wie kommt er überhaupt hierher, der Hungerleider. Nennt sich Künstler und pinselt Hunde, Katzen und Schmetterlinge und was-weiß-ich-was. Sag ihm, er soll sich zum Teufel scheren und in das Mauseloch verkriechen, aus dem er herkommt.«
»Carter lebt auf Didlington Hall!« protestierte Alicia. »Er arbeitet für Lord Amherst, wenn du nichts dagegen hast.«
»Der da?« Spink zeigte mit dem Peitschengriff auf Carter.
»Ja, ich!« erwiderte dieser und setzte ein breites Grinsen auf, das seinen Gegner bis aufs Blut reizte. Und mit einem herausfordernden Lächeln fügte er hinzu: »Im Gegensatz zu dir, Spink, kann ich mir meinen Lebensunterhalt mit meiner Hände Arbeit
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