Der König von Luxor
elegantes Speisezimmer verwandelt und mit zahllosen Kerzen an den Wänden und auf der langen Tafel illuminiert worden war – ein Anblick, der manchen Gästen ein staunendes »Aah« und »Ooh« entlockte –, erklang im Hintergrund ein chinesischer Gong. Es war Tradition, daß dieser Gong von Albert, dem Butler, nur einmal im Jahr und nur zu diesem Anlaß geschlagen wurde.
Die große Halle, deren Wände mit warmem Holz getäfelt und sparsam, aber kostbar möbliert waren, strahlte vielleicht nicht die Eleganz von Oxburgh Hall oder die reiche Pracht von Highclere Castle aus, konnte es aber an Gemütlichkeit mit jedem anderen Landsitz aufnehmen. Die Ahnenporträts an den Wänden, von denen einige mehr als zweihundert Jahre alt waren, fielen auf durch die edlen Züge und ihre zeitlose Schönheit, die den Vorfahren der Amhersts zu eigen war und durch die hohe Kunst der Malerei. Obwohl die Gemälde von verschiedenen Malern stammten, wiesen alle eine Besonderheit auf, welche bei allen Gästen Bewunderung hervorrief: Wo immer man sich in der Halle aufhielt, die Ahnen verfolgten den Betrachter mit den Augen. Das galt auch für die Porträts von Lord William Amherst und Lady Margaret, die vor etwa zwanzig Jahren von einem bekannten Maler aus London im Stile von Gainsborough angefertigt worden waren. Vor allem das Bild Lady Margarets, das die Herrin von Didlington Hall in einer dunkelroten Robe vor einem Fenster des Herrenhauses mit Ausblick auf die sanfte Landschaft zeigte, fand großes Gefallen, und es gehörte wie in allen Ahnengalerien in England zur Höflichkeit, einen Augenblick davor zu verweilen und das Werk des Malers, vor allem aber sein Modell mit anerkennenden Worten zu bewundern.
Lord Carnarvon fand ohne Mühe die passenden Worte, und sie klangen nicht einmal schmeichlerisch oder abgeschmackt, wie oft in ähnlichen Situationen: »Mylady, ich weiß nicht, was ich mehr bewundern soll, die Kunst des Malers oder die Schönheit seines Modells. Wirklich, das schönste Porträt, das ich kenne!«
Das mochte »Porchys« Überzeugung sein oder auch nicht, jedenfalls war damit der Konvention genüge getan, und Lady Margaret bat Lord Carnarvon und die übrigen Gäste, an der langen Tafel Platz zu nehmen, so wie es die Tischkarten vorschrieben.
Es gibt kaum ein strengeres Gesetz in England als die Tischordnung bei einem Dinner. Allein die Aufreihung der Gäste vermittelt Gesprächsstoff für mehrere Tage und ist auf seltsame Weise geeignet, manch einen in Euphorie oder tiefe Depression zu versetzen.
Lord Amherst gab das Zeichen zum Platznehmen, indem er sich zur schmalen Stirnseite der Tafel begab, von welcher er die Gästereihe bis zu den letzten Plätzen übersehen konnte. Zu seiner Rechten saß Lady Margaret auf dem ersten Platz an der Längsseite. Sie trug ein langes, dunkles Kleid mit weitem Ausschnitt. Doch war es nicht das Dekolleté der Herrin von Didlington Hall, das Aufsehen erregte, sondern eine Kleinigkeit ihrer Garderobe, welche Uneingeweihten verborgen blieb, Kenner jedoch zu bewundernden Blicken herausforderte: Lady Margaret trug ein schwarzes Samtband um den Hals, was in diesen Tagen und in gebildeten Kreisen mehr Entzücken hervorrief als ein Strumpfband auf weißen Schenkeln. Erinnerte es doch an jene Lady Stutfield aus Oscar Wildes »Gespenst von Canterville«, ein gerade erschienenes Buch, welches man ob seiner Frivolität einfach gelesen haben mußte. Während Lady Stutfield das Halsband nur deshalb trug, damit es die fünf eingebrannten Finger eines Gespensts verdeckte, zeigten die Damen der vornehmen Gesellschaft mit ihrem Halsband, daß sie literarisch auf der Höhe und der Biederkeit des Jahrhunderts abgeneigt waren.
Lady Margaret gegenüber, also zur Linken Lord Amhersts, war Lord Carnarvon plaziert. Links von diesem Lady Wainwright, eine schwarzhaarige Schönheit indischer Herkunft, welche Admiral Wainwright aus der Kronkolonie ihrer Majestät nach England heimgeführt hatte. Ihr Gemahl, der erst vor kurzem zum Lord geadelte John Wainwright, war hager, groß und stark kurzsichtig. Er trug eine Brille mit dicken Gläsern, die seine Augen wie zwei Hemdenknöpfe erscheinen ließen. Wainwright war ein Beispiel dafür, daß sich die unansehnlichsten Männer mit den schönsten Frauen schmücken. Was jedoch seine Konversation betraf, so konnte Wainwright es mit jedem anderen Gast aufnehmen, und Lady Lampson an seiner Seite, zweite Frau des neben der schönen Inderin plazierten Lord Harold Lampson,
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